Zumindest für die Nichteingeweihten war es eine Überraschung, als die SGK des Nationalrats am 20. August mit einer dritten Variante zur BVG-Reform aufwartete, mit Elementen des Sozialpartner-Modells, allerdings auch einigen gewichtigen Änderungen. Die mehr oder minder geschlossene bürgerliche Mehrheit hat sich damit gegen die Linke durchgesetzt, die unverdrossen an der Sozialpartner/BR-Lösung festhält. Damit ist die Reform noch längst nicht entschieden, aber die bisher favorisierte ASIP/Mittelweg-Lösung dürfte in der ursprünglichen Form nur noch geringe Chancen haben.

Eingebracht in die Kommission wurde das Modell von Thomas de Courten, SVP. Da er kaum über das notwendige aktuarische Rüstzeug verfügt, um ein solches selbst zu entwickeln – was auch für die übrigen Kommissionsmitglieder zutreffen dürfte – fragt man sich, wo es seine Ursprünge hat. Die diesbezüglich gut informierte NZZ ortet diese beim Versicherungs- und Gewerbeverband. Die beiden Verbände pflegen über die sgv-Vorsorgestiftung proparis eine langjährige Zusammenarbeit. Aber das notwendige Expertenwissen liegt beim SVV.
Jedenfalls waren beide Verbände im Vorfeld der Beratungen in der SGK an diversen Gesprächen beteiligt. Die Berechnungen zur Beantwortung der Frage, ob mit der geplanten flachen Staffelung mit nur zwei Beitragssätzen (gleich wie im Kompromiss), einer Halbierung des Koordinationsabzugs plus der Senkung der Eintrittsschwelle die Rechnung aufgeht, wurden vom SVV durchgeführt oder zumindest überprüft.

Ob aber das Modell ganz oder zumindest teilweise beim SVV entwickelt wurde, ist hingegen unklar. Die befragten Stellen sind zu diesem Punkt sehr wortkarg. Was sich vielleicht damit erklären lässt, dass niemand daran interessiert ist, dass es als «Versicherungsmodell» in die Annalen eingeht.

Wie der Vorschlag – woher auch immer – über de Courten in die SGK gelangte, ist ebenfalls unklar, was natürlich Anlass zu Spekulationen gibt. Die naheliegende Vermutung, dass die SVP-Nähe des SVV-Präsidenten den Ausschlag gab, wird angezweifelt. Was man akzeptieren kann, aber nicht übernehmen muss. Da die Autorenschaft der Lösung nicht ganz uninteressant ist, vorderhand aber noch sehr im Dunkeln liegt, darf sich jeder seinen eigenen Reim auf die Zusammenhänge machen.

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Wie sieht es beim Gewerbeverband aus? Vizedirektor Gfeller bestätigt die Beteiligung des sgv an Gesprächen mit Kommissionsmitgliedern, die auch mit anderen Verbänden stattgefunden hätten. Der sgv unterstützt die SGK-Lösung, wenn auch mit Vorbehalten und ist gleichzeitig vom ASIP-Modell abgerückt. Begründet wird das mit dem zu erwartenden Widerstand resp. der vermuteten Erfolglosigkeit im Parlament. Das ist ein Argument, wenn auch kein zwingendes.
Wenig Freude hat man beim Gewerbeverband an der vorgeschlagenen Senkung der Eintrittsschwelle, die bisher sakrosankt war. Die Idee dazu scheint vom BSV gekommen zu sein, das sie als einfachste Lösung zur Beseitigung der Probleme bei Teil- und Mehrfachbeschäftigten vorgeschlagen hat. Damit dürften 100’000 oder auch mehr Erwerbstätige neu in der 2. Säule versichert werden, vielfach wohl gegen deren Wünsche und Bedürfnisse. Aber politisch kommt das gut an, wenn auch die Verwaltungskosten teilweise höher als die Renten liegen dürften. Es scheint an der notwendigen Phantasie und Innovationsfähigkeit in dieser wichtigen Frage zu mangeln. Das letzte Wort dazu ist jedoch auch hier hoffentlich noch nicht gesprochen.

Der entscheidende Punkt für beide Verbände – Versicherungen und Gewerbe – ist die Finanzierung der Übergangsmassnahmen. Der einfachste, billigste und auch nächstliegende Vorschlag von ASIP/Mittelweg, die Finanzierung mit den bereitstehenden Mitteln für Pensionierungsverluste, schmeckt beiden nicht besonders. Eine kollektive Finanzierung unter Schonung der individuellen Rückstellungen entspricht eher ihren Interessen. Dass damit alle Versicherten belastet werden, auch solche in Vorsorgeeinrichtungen, die unter erheblichen Anstrengungen ihre Umwandlungssätze in den letzten Jahren massiv gesenkt haben und diesbezüglich von der Revision gar nicht betroffen sind, wird in Kauf genommen. Allerdings könnte sich das noch rächen, wenn man das Vorgehen später dem Stimmbürger einmal plausibel machen müsste. Die geplante zeitliche Beschränkung strapaziert den Gerechtigkeitsgedanken zusätzlich.

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Wie die Finanzierung gemäss SGK konkret aussehen soll, ist noch unklar, um nicht zusagen nebulös. In der Mitteilung der SGK tönt das so: «Finanziert werden soll die Kompensationsmassnahme durch Beiträge auf dem koordinierten Lohn. Die Vorsorgeeinrichtungen können die notwendigen Beiträge auch aus nicht mehr benötigten Rückstellungen finanzieren.» Also was jetzt? Wer soll entscheiden, ob nun die Rückstellungen oder Lohnbeiträge eingesetzt werden? Die Kasse, die Arbeitgeberfirma, die Aufsicht? Vielleicht weiss es Herr de Courten. Die Idee scheint jedenfalls zu sein, dass Mittel an den Sifo überwiesen werden, der sie dann verteilt. Es könnte aber auch ganz anders sein.

Hier zeigt sich der Murks dieser – und eigentlich jeder – BVG-Revision, die nur deshalb so dringend und kompliziert ist, weil der UWS unsinnigerweise im Gesetz verankert ist und die Linke ohne Rücksicht auf Verluste und gegen jede die Vernunft Anpassungen jeweils aufs äusserte behindet wenn nicht gar verhindert und nur mit Gegengeschäften akzeptieren will.

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Noch ein Wort zu den Reaktionen der Sozialpartner, die den Kompromiss entwickelt haben. Dass die Gewerkschaften empört sind, dass es jemand wagt, an ihrem Vorschlag herumzuschrauben, kann nicht überraschen. Hingegen ist schwer verständlich, dass es der Arbeitgeberverband verpasst hat, mit einer differenzierten Reaktion Distanz zum SGB zu gewinnen. Eine solche Gelegenheit dürfte sich nicht so schnell wieder bieten. Einige wesentliche und akzeptable Elemente des Kompromisses wurden übernommen und nur der unsägliche Rentenzuschlag für alle gestrichen. Aber die Arbeitgeber wollen weismachen, diese Revision könne nur gelingen, wenn der Kompromiss buchstabengetreu übernommen werde. Aber das nimmt ihnen im Ernst niemand ab, so wenig wie den Gewerkschaften.

Um auf einer weniger saloppen Note zu enden: es ist ganz im Gegenteil dringend zu wünschen, dass sich der SAV aus der Umklammerung der Gewerkschaften befreit. Die bürgerliche Seite leidet – wieder einmal – genug an inneren Spannungen und divergierenden Interessen. Banken gegen Versicherungen und Versicherungen gegen den ASIP, das macht die Durchsetzung einer vernünftigen Lösung schon schwierig genug. Dass nun die Arbeitgeber in Nibelungentreue an einem Modell festhalten, dass eigentlich nicht zu verteidigen ist und von allen Parteien rechts von der SP abgelehnt wird, ist schlicht nicht nachvollziehbar.

Peter Wirth, E-Mail