imageBSV-Direktor Stéphane Rossini hat der NZZ ein Interview  zur Situation der Sozialwerke und den laufenden Revisionen von AHV und BVG gegeben. Auszüge:

Was sind die konkreten Auswirkungen der Krise auf die Sozialversicherungen?
Das eine sind die finanziellen Folgen. Die drohenden Defizite der AHV fallen noch grösser aus als vor der Krise erwartet, und bei der IV wird es länger dauern, bis die Schulden zurückbezahlt sind. Die Probleme liegen vor allem bei den Einnahmen. Die Lohnbeiträge und die Mehrwertsteuer werden unweigerlich sinken, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt und der Konsum zurückgeht. Die Krise bestätigt, dass die AHV ohne Wirtschaftswachstum auf Dauer kaum zu finanzieren ist. Das andere Thema, das uns fast noch mehr Sorgen macht, sind die Folgen für die Integration.

Wie meinen Sie das?
In den letzten Jahren haben wir die IV konsequent auf die Integration ausgerichtet: Nur wenn eine Rückkehr ins Berufsleben wirklich unmöglich ist, soll eine Rente fliessen. Nun ist zu befürchten, dass wegen der Krise gerade in Branchen mit weniger hohen Anforderungen viele Stellen wegfallen, die für die Integration besonders wichtig sind. Mit demselben Problem kämpfen auch die Sozialhilfe sowie die Kantone bei der Integration von Flüchtlingen. Das ist menschlich für die Betroffenen schwierig, und für die Sozialversicherungen kann es sehr teuer werden. (…)

Viele Ältere sind an Covid-19 gestorben. Was bedeutet dies für die Altersvorsorge?
Eine schwierige Frage. Wir wissen, dass es letztes Jahr eine Übersterblichkeit gegeben hat. Aber wie lange diese Personen noch gelebt hätten, ist unklar. Deshalb lässt sich auch nicht berechnen, wie gross die Einsparungen der AHV sind. Die Zahlen, die zurzeit herumgeistern, sind reine Spekulation. Insgesamt hat der Bund bisher in der Pandemie 9100 Todesfälle gezählt. Das fällt bei 2,4 Millionen Rentenbezügern in der AHV nicht stark ins Gewicht. Die Corona-Todesfälle werden die Probleme der AHV nicht annähernd lösen. Alles deutet darauf hin, dass die demografischen Trends weitergehen wie zuvor: dass wir mehr Rentnerinnen und Rentner haben, die zudem länger leben. (…)

Reden wir noch über die Reform der beruflichen Vorsorge. Der Vorschlag des Bundesrats mit dem neuen Rentenzuschlag stösst auf breiten Widerstand. Hat die Vorlage noch eine Chance?
Dazu kann ich nur sagen, dass die Ausgangslage ähnlich ist wie bei der AHV: Die entscheidende Frage ist, wie wir die Bevölkerung davon überzeugen können, der unausweichlichen Reduktion des Umwandlungssatzes zuzustimmen. Das letzte Mal ist dies deutlich gescheitert. Das Parlament muss nun analysieren, welches Vorgehen mehrheitsfähig sein könnte.

Mit der Vorlage des Bundesrats würde die systemfremde Umverteilung von Jung zu Alt nicht behoben, sondern sogar noch ausgebaut. Das zeigt eine von Ihrem Amt in Auftrag gegebene und publizierte Studie. Warum sollen die jüngeren Generationen einer solchen Vorlage zustimmen?
Hier geht es um die Frage, wie wir den Erhalt des heutigen Rentenniveaus finanzieren wollen. Der vorgeschlagene Rentenzuschlag führt natürlich zu einer stärkeren Umverteilung von den Erwerbstätigen zu den Rentnern. Aber sie ist transparent und über Lohnbeiträge sozial verträglich finanziert. Heute ist die Umverteilung versteckt und belastet vor allem die Leute mit kleinen Löhnen. Für die Jungen hätte die Reform zudem den Vorteil, dass kleine Löhne und Teilzeitpensen besser versichert werden und das gesamte System der beruflichen Vorsorge stabilisiert wird.

  NZZ