imageKaspar Hohler hat in der neusten Ausgabe der Schweizer Personalvorsorge ein Interview mit Henrique Schneider, stv. Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, geführt. Schneider ist u.a. SR-Präsident des Sicherheitsfonds. Während alle übrigen Beiträge des Hefts ungebremst das Hohelied der Nachhaltigkeit singen, setzt Schneider kritische Akzente.  Auszüge.

Wie steht die 2. Säule derzeit in Sachen Nachhaltigkeit da?
Henrique Schneider: Schlecht. Die meisten Institutionen, die ich kenne, gehen viel weniger Anlagerisiken ein, als sie aufgrund ihrer Fristigkeit und Struktur könnten. So vergeben sie sich Renditepotenzial, und die Renten ihrer Versicherten werden tiefer. Damit erfüllt man die erste Dimension der Nachhaltigkeit, die ökonomische, nicht. Die anderen beiden Dimensionen sind Soziales und Umweltschutz.

Und wie sieht es hinsichtlich dieser beiden Kriterien aus?
Auch das Soziale ist nicht gewahrt, wenn man sich überlegt, wie viel Quersubventionierung wir haben von den Jungen zu den Alten. Das ist eine eindeutige Verletzung des sozialen Gedankens. Im Bereich der Umweltnachhaltigkeit erfüllen wir die gesetzlichen Kriterien. Damit kann man sagen, es ist erfüllt. Die gesetzlichen Kriterien sind gegenwärtig inexistent, folglich sind sie relativ leicht zu erfüllen. Es ist nicht an den Pensionskassen, sich aufzuspielen und mehr zu machen, als der Gesetzgeber fordert.

Sie sehen also Handlungsbedarf weniger hinsichtlich Umwelt oder Klimaschutz, sondern vielmehr in den anderen beiden Feldern.
Das Ziel von Pensionskassen ist, dass die Leute im Alter ein gewisses Einkommen haben. Ich halte nichts davon, noch mehr Dinge mit diesem Ziel zu verknüpfen. Schon alleine dieses Kernziel wird derzeit gar nicht richtig verfolgt. Dass heutzutage nur über die Umwelt-Nachhaltigkeit diskutiert wird, halte ich für eine Stellvertreterdiskussion. Es ist nichts anderes als ein Versuch der Linken, auch diesen Bereich für ihre Anliegen zu gewinnen. Und es ist eine unglaubliche Schwäche aller Beteiligten in diesem System, hier klein beizugeben.

Bezweifeln Sie, dass die Beherzigung entsprechender Kriterien anlagetechnisch Sinn ergibt?
Es gibt keinen glaubhaften Mechanismus, dass die Umwelt-Nachhaltigkeit bei den Anlagen dazu führt, dass es der Umwelt besser geht. Es gibt aber einen sehr glaubhaften Ansatz, der sagt, dass die Kapitalanlagen dadurch teurer werden. Damit entzieht man nochmals Geld der Altersvorsorge und fügt denjenigen Schaden zu, die sich versichern müssen. Es ist ja eine Zwangsversicherung.

Was halten Sie vom Argument, dass es Teil der treuhänderischen Pflicht einer Pensionskasse ist, risikoorientiert anzulegen – was impliziert, dass man auch ESG-Kriterien zumindest prüft?
Ich bin immer dafür, dass man sich alles Mögliche überlegt, solange dies in einem vernünftigen Kostenrahmen geschieht. Ich glaube nicht, dass es treuhänderische Vermögensverwaltungspflicht ist, dies zu machen, weil man keine Methodologien dazu hat. Von den Wirtschaftsakteuren kann man nicht mehr verlangen, als dass sie das Gesetz erfüllen. Wenn man will, dass sie mehr machen, muss man das Gesetz ändern. Aber dies sollte nicht durch die Hintertüre erfolgen. Der Bund lässt offen, was zur treuhänderischen Pflicht gehört. Es ist ein Spiel mit der Ambiguität, wie es das Bundesamt für Umwelt (Bafu) und das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) gerne machen.

Inwiefern?
Die Bundesämter wissen, dass die meisten Leute gerade in dieser Branche ängstlich sind. Die Anwälte möchten Geld verdienen, und die Anlagechefs haben panische Angst vor allem. Wenn sie irgendetwas sehen, was zu einem Risiko für sie persönlich werden könnte, versuchen sie das Risiko zu mindern, indem sie Kosten den Versicherten überwälzen.

Zum Schluss: Wenn ein Stiftungsrat das Thema ESG auf seiner Traktandenliste hat, welchen Gedanken möchten Sie diesen Stiftungsrätinnen und Stiftungsräten für die Sitzung mit auf den Weg geben?
Diskutiert dies strategisch und nicht anlagetechnisch. Der Entscheid kann nicht der Anlagekommission delegiert werden. Einzelne ESG-Massnahmen auf Ebene der Umsetzung unterzubringen, wenn es keinen übergeordneten Gedanken gibt, ist eine Pflästerli-Übung. Es braucht einen übergeordneten, strategischen Gedanken, der vom Stiftungsrat kommen muss. Die richtige Empfehlung lautet aber: einfach nicht ESG auf die Traktandenliste setzen.

Interview Schneider