Weder Sozialpartnerkompromiss resp. Bundesratsvorlage noch ASIP/Mittelweg, die SGK-N sucht für die BVG 21-Revision ihren eigenen Weg. Im Kern beruht ihr Vorschlag auf dem Kompromiss, will aber den höchst umstrittenen Rentenzuschlag einschränken. Er soll per Anrechnungsprinzip nur jenen zugutekommen, welche von der Senkung des Umwandlungssatzes auch konkret betroffen sind.

Die Lösung hat bereits viele Anhänger gefunden, auch bei solchen, die bisher das ASIP-Modell unterstützten. Das hat wohl weniger mit dem neuformulierten Rentenzuschlag zu tun, als mit seiner Finanzierung. Zwar lässt die Kommission in ihrer Mitteilung dazu noch vieles offen, aber es deutet alles darauf hin, dass man bei Lohnprozenten bleiben will, allerdings nur auf den obligatorisch BVG-versicherten Löhnen. Ausschlaggebend dürfte sein, dass die Finanzierung dezentral unter Einschaltung des Sicherheitsfonds erfolgt und die vorhandenen Rückstellungen geschont werden.

Hier nun scheiden sich die Geister. Der ASIP vertritt die Meinung, eine Umverteilung zwischen den Pensionskassen resp. Kollektivierung der Ausgleichsmassnahmen zur Sicherung des Leistungsniveaus sei schlicht überflüssig. Die Kassen seien nämlich per Weisung gehalten, Rückstellungen für Pensionierungsverluste zu bilden, welche jetzt für die Massnahmen eingesetzt werden können. Einen neuerlichen Umverteilungsmechanismus dafür einzurichten sei deshalb nicht nur überflüssig, sondern auch ungerecht gegenüber jenen Vorsorgeeinrichtungen und ihren Versicherten, welche die Umwandlungssätze bereits gesenkt haben und das in den meisten Fällen sogar deutlich über die geplante Anpassung hinaus. Dies betrifft immerhin gegen 85 Prozent aller Destinatäre.

Die Gegenargumente sind eher soft. Es wird – ohne klare Zahlenangabe – bezweifelt, ob das Geld in ausreichendem Mass vorhanden und ob das Vorgehen politisch durchsetzbar sei. Dass hinter den Zweifeln auch kommerzielle Interessen stehen, ist offensichtlich. Was die Gewerkschaften betrifft, können sie ihre Vorliebe für jegliche Form von Umverteilung so wenig verleugnen wie die Linksparteien.

Ich habe zwei massgebliche Exponenten des «Mittelweg / ASIP-Reformvorschlags» – Hanspeter Konrad vom ASIP und Reto Leibundgut von der c-alm – um eine Meinungsäusserung zur Kontroverse gebeten.

Hanspeter Konrad hält vorab fest, dass die Ausgleichsmassnahmen zwingend immer in Kombination mit der finanziellen Entlastung aus der Senkung des BVG-Umwandlungssatzes zu sehen sind. Keine PK (auch keine BVG-nahe PK) wird durch das Mittelweg/ASIP-Modell im Vergleich zu heute schlechter gestellt, sie werden über die Zeit finanziell deutlich entlastet. Die finanzielle Entlastung aus der Senkung des BVG-Umwandlungssatzes ist in jeder PK in jedem zukünftigen Jahr höher als der Aufwand für die Ausgleichsmassnahmen. Eine Finanzierung der Reform ohne die zusätzlichen Lohnabgaben des Bundesratsmodells ist somit möglich, viel günstiger und fairer gegenüber KMU und Tieflohnempfängern. Die systemfremde Lösung des Botschaftsmodells würde wegen der unnötigen und unverhältnismässigen finanziellen Belastung der Versicherten und wegen erhöhter Lohnkosten das Vertrauen in die 2. Säule erheblich stören.
Hanspeter Konrad verweist zudem auf den von den PK-Verbänden ermittelten Umfang der Rückstellungen. Die der SGK-N vorliegenden Zahlen zeigen, dass die Rückstellungen gemäss FRP 2 gebildet wurden und werden. Die Werte für 2019 betragen rund 16,7 Mrd. Franken für Vorsorgeeinrichtungen (Umfrage von Interpension und ASIP). Auch für die Lebensversicherer weist die Finma entsprechende Zahlen aus (3,4 Mrd.). Diese Zahlen werden in den Bilanzen der Vorsorgeeinrichtungen transparent ausgewiesen. Die wenigen Ausnahmen ohne Rückstellungen müssen den zu hohen BVG-Umwandlungssatz zwingend direkt mit Zusatzbeiträgen querfinanzieren. Sie tun dies bereits heute, indem sie die Pensionierungsverluste aus der laufenden Rechnung bezahlen. Falls es PK gibt, bei denen die heutige Rückstellung nicht reichen würde, wäre eine Härtefall-Lösung über den Sicherheitsfonds denkbar.
Wichtig ist, dass eine systemkonforme Lösung beschlossen wird. Dazu gehören eine dezentrale Umsetzung der Kompensation unter Beachtung des Anrechnungsprinzips. Es braucht dafür keine neuen Lohnprozente. Der Reformvorschlag Mittelweg/ ASIP ist für alle Vorsorgeträger, auch für die Vollversicherer, problemlos umsetzbar.
Ein kollektiv finanziertes Kompensationsmodell scheint uns viel komplizierter in der Umsetzung als der Mittelweg/ASIP-Vorschlag. Zudem ist die Finanzierung unklar. Die Kommission verkennt den Stellenwert der vorhandenen Rückstellungen, die dezentral auf Pensionskassenebene für die Übergangsgeneration eingesetzt werden. Wir lehnen daher ein zentrales Modell mit der Finanzierung aller Zuschüsse durch eine zentrale Stelle wie den Sicherheitsfonds weiterhin dezidiert ab. Eine solche Lösung ist unnötig und zu teuer.

Reto Leibundgut nimmt das SGK-N Modell auf, das allerdings in vielen Teilen noch nicht ausgereift ist.

Die offizielle Medienmitteilung der SGK-N ist ja noch nicht so klar und griffig, als dass ich aktuell sagen könnte, ich hätte das «SGK-N-Modell» vollständig erfasst. Zwar wurde in den Medien – allen voran der NZZ – einzelne Unklarheiten aufgenommen und geklärt, aber ein abschliessendes Gesamtbild habe ich leider immer noch nicht.

Positiv hervorzuheben ist aber, dass die Kompensationsleistung der Übergangsgeneration (15 Jahrgänge nach Inkrafttreten der Reform) nur dann ausbezahlt werden soll, wenn die «erhöhte BVG-Altersrente» höher ist als die reglementarische Altersrente. Dadurch erhalten Versicherte, welche aufgrund ihres weit überobligatorischen Vorsorgeplanes nicht von der Reduktion des gesetzlichen Mindestumwandlungssatzes betroffen sind, nicht auch noch eine Kompensationsleistung. Beim Vorschlag des Bundesrates wäre aber genau dies der Fall gewesen, was eine krasse und für mich nicht nachvollziehbare Ausweitung der heute existierenden Umverteilung von jungen Versicherten zu den Neurentnern gewesen wäre. Eine Reduktion der Umverteilung kann nicht mit noch mehr Umverteilung erreicht werden.

Aus dieser Perspektive ist das «SGK-N-Modell» bereits sehr nahe beim ASIP/Mittelweg-Vorschlag. Der ASIP/Mittelweg-Vorschlag scheint mir aber bezüglich Kompensationshöhe noch immer «passgenauer», da er im Anrechnungsprinzip die individuelle BVG-Altersrente erhöht und aus Sicht der Versicherten und der Vorsorgeeinrichtungen genau gleich wirkt wie eine schrittweise Reduktion des BVG-Umwandlungssatzes über 10 Jahre – oder welcher Zeitraum politisch auch immer gewünscht ist.

Kritisch anmerken möchte ich, dass die Finanzierung der Kompensationsleistung – nach meinem Verständnis – vom ersten Franken an solidarisch von allen Pensionskassen getragen wird (zentrale Lösung). Es ist allgemein anerkannt, dass die Reduktion des BVG-Umwandlungssatzes bei vielen BVG-nahen Pensionskassen und insbesondere bei den Vollversicherern zu einer nicht unerheblichen Reduktion der vorhandenen Rückstellungen für «zukünftige Umwandlungssatzverluste» führen wird. Zwar gehen die Meinungen über den Umfang der Reduktion auseinander – aber dass es eine Reduktion gibt, scheint allgemein akzeptiert zu sein.

Es wäre wünschenswert, wenn die aus diesen Auflösungen resultierenden Gewinne zunächst dezentral für die Finanzierung der Kompensationsleistungen verwendet würden – und erst nachgelagert die Solidarität bzw. Umverteilung zwischen den Vorsorgeeinrichtungen und den Vollversicherern zum Tragen käme. Vor diesem Hintergrund ist eine rein zentrale Abwicklung über den Sicherheitsfonds nicht zielführend.

Die Reduktion der Eintrittsschwelle und das frühere Sparen ab Alter 20 führt im Vergleich zum bisherigen Bundesratsvorschlag und auch zum ASIP/Mittelweg-Vorschlag zu einer deutlichen Erhöhung des Leistungsziels. Gemäss unseren Berechnungen dürften jährlich rund 900 Mio. Franken mehr Sparbeiträge anfallen als beim Vorschlag des Bundesrates. Ein Teil dieser Mehrkosten trifft natürlich insbesondere auch Branchen, die heute schon mit tiefen Gewinnmargen zu kämpfen haben.

Die Diskussion ist noch in vollem Fluss, noch ist das letzte Wort längst nicht gesprochen. Aber es werden jetzt Weichen gestellt und damit der Zug in eine Richtung gelenkt, welche später nur noch schwer zu ändern sein wird. Die geplante Umverteilung zwischen den Pensionskassen scheint überflüssig und von der Sache her nicht gerechtfertig. Im November wird die SGK-N eine dritte und wahrscheinlich letzte Lesung zu diesem Geschäft durchführen. Dann geht es ins Parlament. Nach dem Nationalrat wird sich der Ständerat damit beschäftigen. Das letzte Wort dürfte der Stimmbürger haben.

Peter Wirth E-Mail