imageDie demografische Entwicklung bringt die Altersvorsorge in der Schweiz zunehmend in Schieflage. Tiefgreifende Reformen sind nötig, aber politisch unbeliebt. Veronica Weisser, Ökonomin und Vorsorgeexpertin bei der UBS, nimmt in einem Interview mit “Arbeitgeber-Banken” Stellung und spricht dabei auch unbequeme Themen an. Auszüge.

Wie können denn die Löcher in der AHV fair und sinnvoll gestopft werden?
Ich frage mal ketzerisch: Müssen sie überhaupt gestopft werden? Andere Länder haben ihre Vorsorgewerke auch nicht saniert und dann tiefere Renten hingenommen. Wir könnten mit der AHV so weitermachen wie bisher, wir müssten aber eine Reduktion des Lebensstandards hinnehmen. Wollen wir das nicht und wollen wir uns gegenüber den nachfolgenden Generationen fair verhalten, dann können wir das Rentenalter anheben, was auch die grosse Mehrheit der OECD-Staaten schon gemacht hat. Dabei könnte das Rentenalter für Berufsgruppen, die eine höhere Lebenserwartung aufweisen – dazu gehören auch Banken –, deutlich schneller ansteigen als für Berufsgruppen, bei denen tiefe Löhne und schwere physische Arbeit zu einer tieferen Rentenbezugszeit führen. Politisch müsste sich für eine solche soziale Lösung eigentlich eine Mehrheit finden lassen.

Deutlich schwieriger wird es politisch, wenn wir die AHV nach dem Verursacherprinzip sanieren. Die Frage, weshalb Personen, die keine oder nur ein Kind haben, denselben Anspruch auf eine AHV-Rente haben wie diejenigen mit mehreren Kindern, ist unbequem. Dennoch sollten wir sie uns stellen. Finden wir es richtig, dass Eltern in der Schweiz systematisch ärmer sind als Kinderlose, während des Erwerbslebens und während der Rente?

Wie beurteilen Sie denn die Situation bei den Pensionskassen?
Die 2. Säule soll ja im Unterschied zur 1. Säule kapitalgedeckt sein. Die erste Problematik ist, dass wir eine längere Lebenserwartung und damit einen längeren Rentenbezug haben, dass wir aber nicht länger Zeit haben, um Kapital anzusparen. Es ist klar, dass an der Senkung des Umwandlungssatzes kein Weg vorbeiführt. Die bisherigen Senkungen sind viel zu spät vorgenommen worden. Wir haben etwa fünfzehn Jahrgänge mit einem viel zu hohen Umwandlungssatz verrentet. Richtig wäre heute eigentlich ein Umwandlungssatz von 4 Prozent bis 4,5 Prozent. Wenn wir die heutigen Negativzinsen mitberücksichtigen, müsste der Umwandlungssatz risikoadjustiert gar unter 4 Prozent liegen.

Das zweite Problem sind die Negativzinsen, die Pensionskassen heute auf ihre Liquidität bezahlen. Dank der hohen Obligationenrenditen der vergangenen Jahre war diese Belastung verkraftbar. Die Auswirkungen der Negativzinsen auf die 2. Säule werden erst in den kommenden Jahren wirklich spürbar werden, wenn das Zinsniveau nicht weiter sinkt und somit auch die Obligationen keine Rendite abwerfen. Deshalb sind auch in der 2. Säule echte und nachhaltige Reformen dringend nötig.

Was halten Sie denn von der von Bundesrat und Sozialpartnern vorgeschlagenen Reform der 2. Säule?
Ganz ehrlich: Der Vernehmlassungsentwurf für die Reform der beruflichen Vorsorge bereitet mir Sorgen. Das grosse Problem in der 2. Säule ist nämlich die riesige Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern aufgrund des zu hohen Umwandlungssatzes. Nun sieht der Vorschlag vor, den BVG-Umwandlungssatz von 6,8 auf 6,0 Prozent zu reduzieren. Erst mal ist diese Reduktion politisch bedingt viel zu klein. Vor allem wird aber – für mich verblüffend – eine Kompensation vorgeschlagen, die über zusätzliche Lohnbeiträge finanziert werden soll. Da auch überobligatorisch Versicherte, die von der Reduktion des BVG-Umwandlungssatzes gar nicht betroffen sind, diese Kompensation erhalten, wird die Umverteilung nicht reduziert, sondern sogar gesetzlich verankert und ausgeweitet. Damit lösen wir die Probleme in der 2. Säule nicht. Dabei gibt es gute Alternativvorschläge, zum Beispiel denjenigen des Pensionskassenverbands ASIP oder – ähnlich, aber politisch etwas verdaubarer – denjenigen der «Allianz für einen vernünftigen Mittelweg», den auch Arbeitgeber Banken unterstützt.

  Interview Weisser