pw. Werner Vontobel setzt sich in einem Beitrag der Website “Oekonomenstimme” mit den “Fatalen Denkfehlern der Pensionskassen-Lobby” auseinander. Die Website ist eine von der KOF an der ETH lancierte Internetplattform.
Vontobel versucht nachzuweisen, dass die These von Daniel Wiener in einem NZZ-Kommentar zutrifft, dass nämlich die 2. Säule “das ineffizienteste Vorsorgesystem [ist], das man sich vorstellen kann”. Vontobel argumentiert makroökonomisch. Für das Sparkapital der Pensionskassen liegt bei der heimischen Wirtschaft kein entsprechender Investitionsbedarf vor, damit bleiben nur die öffentliche Hand, die Schulden abbaut, und das Ausland, wo die Nettorendite negativ ist. Alles ausser der “direkten Umlage” mit einer “AHV-Vollrente” scheint folglich mindestens fragwürdig.
Festzustellen ist allerdings, dass die Pensionskassen trotz aller Turbulenzen auf den Kapitalmärkten ausnehmend gut funktionieren. Sie haben den Destinatären kollektiv den Zugang zum Kapitalmarkt verschafft und damit eine spezielle Form von “Volkskapitalismus” gebildet. Und trotz “Anlagenotstand”, zwischen 1985, der Inkraftsetzung des BVG, und 2017 trugen die Anlageerträge 40 Prozent zu den Altersguthaben bei. Eigentlich nicht schlecht und schon gar nicht “ineffizient”.
Wie hingegen die AHV in nicht allzu ferner Zukunft mit einem Verhältnis der Rentner zu den Beitragszahlenden von 1:2 finanziert werden soll, zumal mit einer “Vollrente”, ist schwer vorstellbar. Vielleicht ist das altmodische Konzept des “Konsumverzichts” für spätere Erträge als Ergänzung doch nicht so falsch, auch wenn die Anlage der Mittel zeitweise für Probleme sorgt.
Kommentar Werner C. Hug
Wenn man annimmt, dass die PKs nur Oblis zeichnen, dann gehen die Überlegungen von Werner Vontobel nicht fehl. Aber: das Portfolio der PKs umfasst nicht nur Obli In- und Ausland, sondern auch Aktien In- und Ausland. Aktien sind Beteiligungen an unternehmerischen Tätigkeiten, Risikokapital. Ohne Firmen gibt es keine Arbeitsplätze. Ohne Arbeitsplätze gibt es keine Beiträge an die 2. Säule.
Ich plädiere schon seit längerer Zeit dafür, dass die prudent investor rule anstelle der BVV2 Anlageregeln gelten sollte.
Was heisst das: je nach Struktur der PK – viele oder wenige Rentner, viele junge Angestellte oder viele ältere – kann die PK entsprechend investieren. Junge Kassen können vermehrt in Aktien investieren – Rentnerkassen müssen dafür sorgen, dass sie ausreichend cash zur Bezahlung der Renten besitzen.
Schauen wir die jungen Kassen an, denn die 2. Säule ist erst im Aufbau. Erst der Jahrgang 1960 wird 2025 vollständig von der 2. Säule erfasst sein. Diese Kasse kann vornehmlich in Aktien investieren. D.h. sie ist an Realkapital beteiligt und sorgt damit auch dafür, dass Arbeitsplätze erhalten und ausgebaut werden können. Und das im In- wie im Ausland. Damit sorgt die 2. Säule für Wachstum und wirtschaftliche Prosperität. Eine Rentnerkasse braucht demgegenüber verlässliche Oblis, m.a.W. das cashflow management ist für jede Kasse das Zentrale.
Nun haben wir seit 2009 ein noch nie erlebtes Phänomen. Die Notenbanken haben weltweit zu viel Geld geschaffen. Geld ist ja bekanntlich gemäss Wirtschaftstheorie kein wirtschaftliches Gut, sondern lediglich Tauschmittel. Nun ist aber Geld zum wirtschaftlichen Gut geworden und die Regel, dass die Geldmenge nicht grösser sein sollte als der vorhandene Güter-Dienstleistungshaufen, gilt nicht mehr. Mit Geld kann man heutzutage mehr Geld verdienen als mit der Produktion von Gütern. Das ist das Perverse.
Das ist das Problem und nicht die 2. Säule. Sparen und Investieren gehören zusammen, haben wir gelernt. Nun ist aber zum Sparen etwas hinzugekommen, das wir nicht (mehr) im Griff haben, nämlich die Geldmenge. Pervers ist die Situation, dass wir heute viele Vermögende haben, die zusätzlich Schulden machen und damit wieder auf die Finanzmärkte gehen, um Geld zu verdienen. Das erhöht die Geldmenge noch mehr. Zusätzlich kommt der Millisekundenhandel dazu, der mit der realen Ökonomie überhaupt keinen Zusammenhang mehr hat.
So lange wir die Überflutung mit Geld nicht in den Griff bekommen, solange es interessant wird Schulden zu machen, weil man dafür nichts mehr bezahlen muss. Solange funktioniert die Ökonomie – so wie wir sie gelernt haben – nicht mehr. Das ist aber nicht das Problem der 2. Säule, sondern der Notenbanken.
Macht es einen Sinn, wenn die SNB mit 800 Mrd. künstlich den CH-Kurs aufrechterhält, um die Exportwirtschaft zu schützen? Karl Marx hat mit seinem Satz: der Kapitalismus kann nur mit Kapital zerstört werden, wohl Recht. Wir sind auf dem besten Weg dazu.
Kurz noch zur AHV. Die AHV ist für Einkommen über 85’000 Franken eine Steuer. Alle Einkommen darüber müssen 8,4 Prozent Beiträge bezahlen, erhalten aber nur eine Maximale Rente von 2370 Ehepaare nur 150 % davon. Es gibt auf der Welt nur das schweiz. System, das derart umverteilt wie die AHV. 93 Prozent der heutigen Rentenbezüger haben ihre Rente nie finanziert. Diese Solidarität ist einmalig. Sie darf aber nicht überstrapaziert werden. Wenn die AHV stabilisiert werden soll, dann nur über Rentenaltererhöhung und Steuern, vorwiegend MWSt, aber sicher nicht über höhere Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge, denn das sind ja effektiv Lohnkosten. Die Schweiz mit den höchsten Löhnen wäre nicht mehr als Exportwirtschaft möglich.
Die Wirtschaftswissenschaft sollte so rasch als möglich wieder dafür sorgen, dass wir Lösungen finden, wie wir aus dem Geldüberflussschlamassel wieder herauskommen. Die einfachste Lösung wäre Krieg – aber das will vernünftigerweise keiner. Hat Werner Vontobel Ideen, wie wir aus diesem Schlamassel wieder herauskommen? Wer soll den ersten Schritt machen? Wie kann man gleichzeitig dafür sorgen, dass wir mit der Lösung des Schlamassels den künftigen Rentnern ihre Rente, ihr Überleben garantieren können?
Das sind Fragen, die mich beschäftigen und nicht: mehr AHV oder weniger BVG.
Werner C. Hug