Die Sozialpartner haben es in der Tat und gegen alle Erwartung geschafft, wie vom Bundesrat gewünscht gemeinsam Vorschläge zur BVG-Revision vorzulegen. Mit dem Schönheitsfehler, dass der Gewerbeverband ausgeschert und die Einstimmigkeit zum qualifizierten ¾-Mehr geschrumpft ist. Sie haben die Regierung inständig gebeten, ihr Revisions-Modell für die Vernehmlassungsvorlage exakt zu übernehmen. Angeblich wird diese das auch tun.

Kernstück der BVG-Revision bildet die Senkung des Mindest-Umwandlungssatzes samt zugehörigen Ausgleichsmassnahmen für eine längere Übergangsfrist. Einige sind sich beide Seiten – Arbeitnehmer und -geber incl. Gewerbeverband – dass die Senkung nicht über 6 Prozent hinausgehen soll, obwohl 5 Prozent richtig wären. Das Sozialpartnerprojekt sieht zum Erhalt des Leistungsziels u.a. die Halbierung des Koordinationsabzugs und eine Erhöhung des Sparziels mit neu lediglich zwei Beitragssätzen vor.

Wäre es dabei geblieben, hätte man mit zu Recht von einem «Kompromiss» sprechen können. Aber die Gewerkschafter waren damit nicht zufrieden zu stellen. Sie zwangen dem Arbeitgeberverband den in der eigenen Küche vorpräparierten Rentenzuschlag als neues und systemfremdes Umverteilungsprojekt auf.

Bemerkenswert die Reaktion in der NZZ, die das Projekt samt Zuschlag in diversen Beiträgen als «nicht akzeptabel» und «absurd» bezeichnete. «Auf die Idee muss man erst noch kommen» hat Fabian Schäfer geschrieben. Die gleiche Formulierung hatten wir schon im ersten Entwurf zu diesem Kommentar. Sie passt zum Konzept der beruflichen Vorsorge wie die legendäre Faust aufs Auge, und es ist im Grunde peinlich, dass zur Finanzierung des Leistungserhalts im Obligatorium auf eine solche Massnahme zurückgegriffen werden soll. Ein «Zustupf», finanziert mit Lohnprozenten in Höhe von 0,5 von allen Erwerbstätigen, der via Sicherheitsfonds den Neurentnern der Übergangsgeneration mit der Spritzkanne zugeteilt wird. Das heisst z.B., dass die jungen Bäcker, Elektrikerinnen und Sanitär-Installateure den Pensionisten im Finanzsektor unter die Arme greifen dürfen, obwohl selbige von der UWS-Senkung gar nicht betroffen sind. Ob sie jemals von ähnlicher Grosszügigkeit werden profitieren können, ist eher unsicher und schon gar nicht garantiert. Geht alles unter dem Titel soziale Gerechtigkeit mit Patent SGB.

Die Fairness gebietet, neben der Soll- auch die Habenseite des Deals (aus Arbeitgebersicht) anzusehen. Da wäre an erster Stelle zu nennen das seltene, implizit abgegebene Bekenntnis der Gewerkschaftsseite zur 2. Säule, womit gleichzeitig eine Verteidigungslinie aufgezogen wird gegen die absehbaren Attacken der antikapitalistischen Jungsozialisten mit ihrem wachsenden Einfluss in der SP. Keine weitere Diskussion ist mehr nötig, um die Senkung auf immerhin 6 Prozent zu rechtfertigen, obwohl die Linke im Parlament absehbar mit endlosen Zusatzforderungen aufwarten wird. Als positiv werden auf Arbeitgeberseite auch der Ausbau der beruflichen Vorsorge aufgrund des massiv tieferen KA hervorgehoben, was Teilzeitlern entgegenkommt, sowie die vereinfachte Beitragsstruktur, die älteren Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt vielleicht etwas nützt. Der Umverteilungseffekt durch das halbe Lohnprozent für den Rentenzuschlag wird auf 400 Mio. veranschlagt, was unter Solidaritätsleistung abgebucht werden soll und möglicherweise das Karma der Beitragsleistenden etwas verbessert. Netto, so der SAV, sei der Handel akzeptabel, eine andere Lösung mit linker Beteiligung nicht absehbar und für die Existenz der 2. Säule das Modell somit schlicht unverzichtbar, also quasi alternativlos. Das Ganze gelte für die 15-jährige Übergangsfrist, dann werde man weitersehen.

Dass die 2. Säule die überfällige Revision aber auch aus eigener Kraft stemmen kann und ohne Griff in die Lohntüte der Erwerbstätigen, zeigt etwa das ASIP-Modell, das erst noch mit einer Senkung des UWS auf 5,8 Prozent ausgestattet ist und ohne neue Solidaritäten auskommt.

Dass der neue Lohnabzug jemals wieder abgeschafft werden wird, glaubt nun aber wirklich kein Mensch. Irgendeinen Zweck wird man für die Gelder in 15 Jahren ohne jeden Zweifel problemlos finden. Nicht einmal der Arbeitgeberverband setzt darauf, der mit den Vorteilen dieser Lösung für die Tieflohnbranchen im Gewerbe wirbt. Dass jetzt ausgerechnet die Gewerbler keine Freude an dem Geschenk haben, nimmt dem Vorschlag einiges von seinem Glanz und gibt beim SAV Anlass zu allerhand unfreundlichen Kommentaren gegenüber den Kollegen in Bern. Allerdings hätte ein zentralisierter Ausgleich wie bei der AV2020 selig die ähnliche Wirkung, ganz ohne Lohnabzugsumverteilung, was die Gewerbler durchaus begriffen und ihn deshalb auch in ihr System eingebaut haben.

Wie gut ist das Alternativmodell des Gewerbeverbands? Es kommt ohne Rentenzuschlag aus und ist deshalb schon um einiges sympathischer. Zentral sind die deutlich höheren Beitragssätze. Am Koordinationsabzug will der sgv nicht schrauben, weil er keine Ausdehnung der 2. Säule will. An der optimistisch veranschlagten Übergangsfrist von 10 Jahren zweifelt aber offenbar auch der sgv, der als Option sicherheitshalber eine Ausdehnung auf 15 oder gar 20 Jahre ins Auge fasst. Aber wenigstens hält man sich an der Schwarztorstrasse an die elementaren Grundsätze der Ordnungspolitik. Was die Kosten die beiden Modelle betrifft, wirft die eine der jeweils anderen Seite vor, ihr Vorschlag sei eine Milliarde teurer. Da dieser Aspekt naturgemäss mit erheblichen Unsicherheiten behaftet und schwer nachprüfbar ist, verzichten wir an dieser Stelle auf eine Wertung.

Am Ursprung des heutigen Revisions-Schlamassels steht der Unsinn, den Umwandlungssatz im Gesetz zu verankern. Eine versicherungstechnische Grösse im Gesetz? Der Bundesrat hat die heisse Kartoffel ans Parlament und in letzter Konsequenz ans Volk abgegeben. Nur leider zu dumm, dass man mit der Versicherungsmathematik keine Spielchen treiben kann, ohne dass sich das umgehend rächt. Konsequenz ist die Unterfinanzierung der 2. Säule, die zusammen mit der unantastbaren Rentengarantie zur heutigen Umverteilung geführt hat. Und es ist nicht erkennbar, wie wir aus der selbst geschaffenen Sackgasse je wieder hinausfinden sollen. Ausser wir geraten in nicht allzu ferner Zukunft in eine massive Inflation, in deren Gefolge den Rentnern die heute überhöhten Renten qua Geldentwertung schlicht und einfach wieder abgezwackt werden. Übrigens auch den linken und rechten «Wackelrenten»-Gegnern.

Über den Tag hinausgedacht, drängt sich der Verdacht auf, dass bei einer allfälligen Abstimmung dieser Rentenzuschlag sich wieder als genau der Stolperstein erweisen könnte, wie schon das 70 Franken «Zückerli» bei der AV2020. Ein geschickt argumentierender Politiker in der Arena, zunehmend kritische Kommentare in den Medien und im Gefolge ein mehr oder weniger knappes Volks-Nein, und wir warten weitere x Jahre bis zur Revision. Und den Erfindern des Zuschlags wäre das erst noch egal.

Peter Wirth, E-Mail

PS. Sie finden eine Übersicht über die diversen Reformprojekte unter Themen/BVG-Revision 2022 auf unserer Website.