Republik hat ein Streitgespräch zwischen den beiden Ökonominnen Barbara Bütler (58) und  Mascha Madörin (73) zur Frage des Frauenrentenalters geführt. Auszüge:

Es sollte eigentlich keine grossen Worte brauchen, um eine Gleichbehandlung von Frau und Mann zu rechtfertigen.

Madörin
: Frauen verdienen insgesamt 100 Milliarden Franken weniger am Arbeitsmarkt als Männer. Der Hauptgrund dafür, und das zeigen Daten immer deutlicher, sind die Kinder. Der monetäre Wert unbezahlter Arbeit für die Kinderbetreuung beträgt geschätzt 105 Milliarden Franken pro Jahr; Frauen tragen etwa 70 Milliarden davon. Das muss man doch diskutieren!

Wie sehen Sie das, Frau Bütler?
Bütler:
Ich bin absolut einverstanden damit, dass wir das diskutieren müssen. Auch damit, dass wir hier viele ungelöste Fragen und Probleme haben. Ich bin aber dagegen, dass wir das über die AHV aushandeln. Die grosse Stärke der AHV ist ja gerade, dass alle fast gleich viel bekommen, unabhängig davon, wer sie sind, was sie arbeiten und wie viel sie einbezahlt haben. Das ist ein grossartiges, schlankes System, um das uns übrigens viele Länder beneiden.

Madörin
: Das stimmt.

Bütler
: Wir sollten das also verteidigen, statt mit der AHV Probleme lösen zu wollen, die woanders entstehen. Sonst muss man plötzlich allerlei Dinge berücksichtigen: etwa die Tatsache, dass junge Männer heute wesentlich mehr Mühe in der Ausbildung und beim Berufseinstieg haben als junge Frauen. Das grösste Armutsrisiko haben auch nicht pauschal Frauen, sondern beispielsweise Familien mit vielen Kindern. Wissen Sie übrigens, woher das unterschiedliche Rentenalter kommt?

Weil typischerweise Ehefrauen jünger sind als ihre Ehemänner?
Bütler:
Genau. Mit Wertschätzung für die unbezahlte Arbeit der Frauen hatte das wenig zu tun. Bis 1956 war das Rentenalter für alle 65 Jahre. Dann hat man das für Frauen erst auf 63, dann auf 62 gesenkt. Bei der Begründung stehen mir heute noch die Haare zu Berge: Die männlichen Parlamentarier wollten, dass ihre im Schnitt drei Jahre jüngeren Frauen gleichzeitig mit ihnen in Pension gehen. Das ist doch unfassbar paternalistisch!


Sie sind eigentlich gar nicht so weit voneinander entfernt.
Bütler
: Wir können von mir aus auch gerne darüber reden, die Minimalrente zu erhöhen. Das ist nicht sehr teuer, für die Betroffenen aber macht es einen existenziellen Unterschied. Das sind alles sinnvolle Diskussionen. Das unterschiedliche Rentenalter aber ist für mich nicht mehr haltbar. Da geht es um das fundamentale Prinzip der Gleichbehandlung der Geschlechter.

Madörin
: Das stimmt, dass es um Gleichbehandlung geht.

Aber?
Madörin:
Nehmen wir an, das Rentenalter wird angehoben: Wie setzen Sie nachher durch, dass die Einkommenslücke tatsächlich angegangen wird? Dass wir die Realität der Frauen im Arbeitsmarkt, vor allem die Benachteiligung älterer Frauen, ernst nehmen? Ich will, dass wir endlich darüber reden, wie wir in Zukunft jene Arbeit finanzieren wollen, die nie effizient sein wird, etwa Kinderbetreuung oder Pflege. Wir haben darauf keine Antwort.


Das Rentenalter ist Ihr Pfand?
Madörin:
Ja, auch. Wenn Sie so wollen. Geben wir es her, verlieren wir eine wichtige politische Karte.

Gut, dann reden wir doch über den Preis: Was müsste man Ihnen bieten, damit Sie zur Erhöhung des Rentenalters Ja sagen?
Madörin
: Nichts. Wir sparen damit in der AHV vergleichsweise wenig Geld. Dafür verlieren wir auf der anderen Seite die Chance auf eine extrem wichtige Debatte. Das steht in keinem Verhältnis. Das ist ganz einfach ein schlechter Deal.


Frau Bütler, Sie haben doch eigentlich auch Sympathien für den feministischen Kampf. Verstehen Sie diese Haltung?
Bütler:
Ich würde die Energie lieber brauchen, um dort zu kämpfen, wo wir wirklich Probleme haben. Zum Beispiel dafür, dass in der Pensionskasse endlich auch niedrige Einkommen versichert werden. Ich finde auch, dass wir die Einkommens­unterschiede zwischen Mann und Frau diskutieren müssen. Da lohnt es sich zu kämpfen. Aber doch nicht für etwas, das so künstlich und paternalistisch über die Hintertür reingekommen ist! Das lässt sich nicht mehr rechtfertigen.
Madörin: Als Frau muss man unglaublich hart sein in Verhandlungen. Vor der letzten Abstimmung gab es sehr viel Widerstand gegen die Erhöhung; es gab sogar eine grosse Demo auf dem Bundesplatz. Und was geschieht dann? Das Parlament stimmt über eine Erhöhung ab, und die SP-Frauen kippen einfach um und akzeptieren das. Statt dass man nochmals richtig Rabatz gemacht und eine breite Diskussion begonnen hätte. So vertritt man doch keine Interessen!

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