Das Bundesamt für Statistik hat neue Zahlen zur Lohnungleichheit veröffentlicht. Das Endresultat und der Titel der Medienmitteilung lauten: 2016 verdienten Frauen 19,6% weniger als Männer. So weit so schlimm. Jedenfalls hat Zentralsekretärin Regula Bühlmann vom Gewerkschaftsbund umgehend reagiert: «Die Frauen sind nicht mehr bereit, diesen Malus zu akzeptieren. Am 14. Juni werden die Gewerkschafterinnen mit vielen anderen Frauen* für mehr Lohn, Zeit und Respekt streiken. Damit die Schweiz in der Gleichstellung endlich vorwärts macht und im 21. Jahrhundert ankommt!»

(Falls Ihnen das sog. Gendersternchen hinter «Frauen» spanisch vorkommt, sei darauf verwiesen, dass damit nicht bloss Frauen im engeren Sinn gemeint sind, sondern auch alle anderen geschlechtlichen Schattierungen, die sich von der toxischen Männlichkeit abgrenzen).

Die Spontanreaktion ist also Empörung. Die Folgerung aus den Zahlen: Frauen werden diskriminiert. Wird weniger spontan regiert, sondern nachgedacht, wird die Situation komplizierter – und interessanter. Allerdings nimmt damit auch das Empörungspotenzial ab.

Man wird sich daran erinnern, dass im vergangenen Herbst eine Studie im Auftrag des Bundes zum Schluss kam, dass selbständige Ärztinnen ein um fast 20% tieferes Medianeinkommen erzielen als ihre ebenfalls selbständigen, männlichen Kollegen.

Diskriminierung fällt zumindest in diesem speziellen Fall weg. Auch andere Faktoren wie etwa höhere Abrechnungen pro Patienten kommen als Erklärung nicht in Frage, weil keine Unterschiede festgestellt werden können. Also besteht der Gender Pay Gap auch in einem von Diskriminierung freien Feld, und dazu in genau gleichem Mass wie für die statistische Gesamtheit der Erwerbstätigen bei den BFS-Zahlen. Bemerkenswert.

In den Lohn-Statistiken wird mit dem Begriff der «objektiven Faktoren» hantiert. Die Einkommensdifferenz, welche damit nicht erklärt werden kann, gilt entsprechend als «ungeklärt» oder als «unerklärbar» mit jeweils negativem Unterton und dem Beiklang von «nicht akzeptabel». Als objektive Faktoren gelten strukturelle Unterschiede (Ausstattungseffekte) bezüglich Bildungsniveau, Alter, Berufswahl, berufliche Stellung, Branchenzugehörigkeit.

Man stellt fest, dass weder Zivilstand (Verheiratung) noch Mutterschaft als objektive Faktoren gelten. Allerdings kann man die Daten nach diesen Faktoren analysieren. Das heisst, man könnte, wenn man wollte. Das BFS tut es nicht. Auch das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS, welches 2017 die Lohnerhebungsdaten von 2014 im Bundesauftrag analysierte, tat es nicht.  Zum Glück dafür das statische Amt des Kantons Zürich in einer Studie von 2016. Deren Ergebnisse sind ebenfalls bemerkenswert. Für kinderlose Frauen beträgt der Lohnunterschied zu den Männern weniger als 10%, wohingegen er für Mütter bei über 25% liegt. Da mögen die Faktoren zwar nicht objektiv sein, aber jedenfalls sehr wirkungsvoll.

Damit ist vielleicht noch nichts geklärt, aber sehr wohl ein Hinweis darauf gegeben, dass familiäre Strukturen bedeutender sind, als man dies gemeinhin wahrhaben will. Zivilstand und Mutterschaft sind offenbar entscheidende Elemente im sozialen und wirtschaftlichen Kontext, auch wenn das im Zuge einer forcierten Egalisierung verdrängt wird. (Wer sich mit diesen Zusammenhängen vertieft auseinandersetzen will, dem seien die Bücher der amerikanischen Feministin Camille Paglia empfohlen. 1))

Eine dritte Überlegung sei noch angefügt. Die Lohnunterschiede treten nicht bloss in der Privatindustrie auf, sie sind auch bei der öffentlichen Hand zu registrieren. Sie betragen hier 16,7 Prozent, sind also nur wenig geringer im Privatsektor mit 19,6. Nun fragt man sich, wie solches möglich ist angesichts der Machtposition, welche VPOD und Angestelltenverbände im öffentlichen Sektor einnehmen und dabei nicht müde werden in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit und Gleichheit. Findet hier Diskriminierung direkt unter ihren Augen statt, ohne dass sie eingreifen, reagieren oder es überhaupt bemerken? Oder liegen die Ursachen womöglich woanders als beim medienwirksamen und politisch ergiebigen Diskriminierungsverdacht?

Sicherheitshalber stellen wir abschliessend fest, dass wir kein Verständnis haben für unterschiedliche Lohnzahlung wo keine Unterschiede in der Tätigkeit vorliegen. Aber wir haben auch kein Interesse für unreflektierte Empörungsbekundungen, vor allem dann nicht, wenn – wie beim Frauenrentenalter – mit der statistischen Lohnungleichheit Obstruktions- und Klientelpolitik gemacht und eine vernünftige Revision unserer Vorsorgewerke hintertrieben wird. Und wir plädieren für eine unvoreingenommene Analyse ohne reflexhaften und geistlosen Ruf nach dem staatlichen Regulierer.

Peter Wirth, E-Mail

1) In ihren Geschichtsstudien hat Paglia gefunden, dass immer dann, wenn in einer Gesellschaft die Geschlechterrollen sich von ihren biologischen Normen und Grundlagen entfernten, eine Gegenreaktion einsetzte. «I do believe that gender roles are malleable and dynamically shaped by culture. However, the frequency with which gender roles return to a polarized norm, as well as the startling similarity of gender roles in societies separated by vast distances of time and space, does suggest that there is something fundamentally constant in gender that is based in concrete facts.»