imageDie FAZ hat Renaud de Planta, Teilhaber der Genfer Privatbank Pictet, interviewt. Zur Sprache kommen ETF und Indexfonds. De Planta hat Vorbehalte. Auszüge aus dem Gespräch.

Herr de Planta, was haben Sie gegen ETF?
Gegen die Idee grundsätzlich habe ich nichts. ETF bilden die Wertentwicklung eines Index wie des Dax nach, solche Indexfondssind an und für sich nichts Schlimmes. Bei Pictet haben wir eine gewisse Erfahrung in diesem Geschäft: In den 1980er Jahren waren wir das erste Haus in der Schweiz, das Indizes und Indexfonds für Stiftungen und Pensionskassen konstruiert hat. Einer unserer Indizes ist sogar ein Referenzindex in der Schweiz. Wenn die Schweizer wissen wollen, wie es um ihre Pensionskassen steht, schauen sie darauf.

Trotzdem zählen Sie zu den wenigen Bankern, die unermüdlich vor Indexfonds warnen. Warum?
Mich besorgt das Ausmaß des Enthusiasmus, mit dem die Anleger ETF kaufen, und die Geschwindigkeit, in der immer mehr Geld indexiert angelegt wird. Allerdings denken viele Marktteilnehmer über die Folgewirkungen nicht gründlich genug nach.

Warum sollte man dies tun? ETF sind günstiger als klassische Fonds. Für Anleger ist das ideal.
Aus Sicht des einzelnen Anlegers mag das häufig richtig erscheinen. Aber unabhängig davon sollte man sich darüber im Klaren sein, dass der ETF-Boom eine Fülle von mitunter unangenehmen Nebenwirkungen mit sich bringt.

Aber wenn die Aktienkurse den wahren Preis nicht mehr widerspiegeln, eröffnet dies doch gute Möglichkeiten für aktive Fondsmanager. Sie könnten auf eine Korrektur der Kurse spekulieren.
Lange Zeit war ich auch der Meinung, dass sich klassische Fondsmanager umso besser hervortun können, je mehr Anleger in ETF investieren. Dann hätte es für den Boom von Indexfonds gewissermaßen eine natürliche Grenze gegeben. Aber das stimmt nicht.

Warum nicht?
Je mehr Geld in Richtung ETF fließt, umso weniger bleibt für aktive Manager übrig. Das hat zur Folge, dass immer mehr aktive Fondsmanager aufgeben müssen und nur die Besten übrig bleiben.

Für Anleger ist das eine ideale Situation: Entweder sie kaufen günstige Indexfonds, oder sie investieren in die besten Fondsmanager.
Das scheint so, ja. Aber bedenken Sie die Folgen des Ganzen: Für die Manager, die übrig bleiben, wird es noch schwieriger, den Markt zu schlagen. Denn sie müssen sich jetzt mit den Besten messen. Ein Manager kann aber nur eine überdurchschnittliche Wertentwicklung erzielen, wenn sich der Fonds eines anderen Managers unterdurchschnittlich entwickelt. Dies ist rein logisch gar nicht anders möglich: Es können nie alle überdurchschnittlich sein. Wegen einer sich zunehmend verschlechternden Liquidität werden die übrig bleibenden aktiven Manager vermehrt Mühe haben, nach Transaktionskosten eine Mehrrendite gegenüber dem entsprechenden Marktindex zu erzielen. Das alles könnte möglicherweise irgendwann in der totalen Indexierung enden. Es würde dann nur noch Indexfonds geben.

Noch ist das meiste Geld in klassischen Fonds angelegt.
Ich wäre mir da nicht so sicher. Niemand hat zuverlässige Zahlen dazu.

Bei Publikumsfonds, in die jeder normale Anleger investieren kann, haben ETF noch längst nicht die Oberhand.
Mag sein. Aber schauen Sie nach Amerika: Blickt man auf öffentliche Aktienfonds, kommen Indexfonds dort auf einen Anteil von 45 Prozent am gesamten Volumen der in Aktienfonds investierten Gelder. In Japan sind es bereits 70 Prozent. Nur Europa liegt zurück: Dort sprechen wir von etwa 25 Prozent der in Aktienfonds angelegten Gelder. Das sind die offiziellen Statistiken. Wir beobachten aber, dass viele Institutionen ihre Anlageentscheidungen auch an einem Index ausrichten. Staatsfonds beispielsweise und auch Zentralbanken, die ihre Aktienportfolios indexieren. Wir haben das einmal hochgerechnet: Setzt sich das bisherige Wachstum fort, würden Indexfonds oder Indexmandate im Jahr 2030 alle Aktiengesellschaften der Vereinigten Staaten vollständig besitzen.

Angenommen, es kommt wirklich so: Was wäre die Folge?
Das wäre hoch bedenklich. Wenn jedes Unternehmen davon ausgehen kann, dass seine Aktien automatisch gekauft werden, nur weil sie in einem Index notieren, strengt sich doch niemand mehr an. Das wäre ein völliger Fehlanreiz, der unser kapitalistisches System im Kern bedroht. Schon jetzt gibt es erste Anzeichen dafür.

Welcher Art?
Neulich sprach ich mit einem Vorstandsvorsitzenden einer Biotech-Firma, der sein Unternehmen in den Vereinigten Staaten an die Börse bringen will. Er sagte sinngemäß, um die Nachfrage nach seinen Aktien brauche er sich keine Sorgen zu machen. Ein Drittel der Aktien würden Indexfonds kaufen, das stünde bereits fest. Das muss man sich vorstellen. Egal, welche Börsenstory jemand erzählt, egal, ob ein Unternehmen Erfolgsaussichten hat oder nicht: Solange die Aktie des Unternehmens in einen Index aufgenommen wird, stehen die Indexfonds immer als Abnehmer bereit. Das verzerrt die Preise dramatisch.

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