Es bestand kurzfristig die Hoffnung, dass die Neuauflage der BVG-Revision mutiger ausfällt, als die vom Volk versenkte AV2020. Die Hoffnung ist dahin. Eigentlich gab es dafür auch nie Anlass.

Grund ist die technisch vermurkste Ausgangslage. Ein gesetzlich vorgegebener Umwandlungssatz, gesetzlich vorgeschriebene Altersgutschriften, eine zeitlich unbeschränkte Leistungsgarantie, dazu Anlagevorschriften und jede Menge weiterer Regulierungen, all das zusammen kann bei sich ändernden Rahmenbedingungen nicht wirklich funktionieren. Es fehlt die notwendige Flexibilität. Nur dank dem Ausweichen in die Freiräume des Überobligatoriums, der Zweckentfremdung der Mittel für die Risikoversicherung und massiver und systemwidriger Umverteilung kommt man über die Runden. Im Obligatorium ist das System unterkapitalisiert. Die Pensionierungsverluste betragen rund 30% des Kapitals. Man steckt in einer Sackgasse.

Aber eine Reform, welche ihren Namen verdient und Abhilfe schaffen würde, ist von keiner Seite gefordert. Ein «Zwischenschritt» sei die Neuauflage der Reform, mehr nicht. Mutig soll dann bitte die nächste Politikergeneration sein.

Man vergleiche die Situation mit der Renovation eines Hauses (das Beispiel ist naheliegend, weil wir derzeit damit beschäftigt sind, ein Altstadthaus ins 21. Jahrhundert zu überführen). Also der Elektriker sagt, die alten Leitungen gehen gar nicht mehr. Das ist gefährlich. Und wenn eine Kontrolle kommt, haben Sie ein Problem. Der Maler sagt, wir können nochmals über die alte Farbe streichen, aber das sieht nicht gut aus und hält nicht lange, in fünf Jahren sind wir dann wieder hier. Der Sanitär sagt, wenn das alte Lavabo weg soll, können wir gleich auch die Dusche ersetzen, die Zuleitung ist sowieso rostig und hält nicht mehr lange. Und der Maurer meint, wenn die Leitungen neu verlegt werden müssen, reissen wir die alte Zwischenwand doch heraus und ziehen sie neu hoch, dann haben wir eine saubere Lösung. Die hält dann für Jahrzehnte. Und was sagt Familie Schweizer: also, wenn das so ist, dann wollen wir das doch richtig machen, auch wenn’s etwas (oder auch einiges) teurer wird. Familie Schweizer hasst Pfusch.*

Familie Schweizer sitzt nicht im Parlament und politisiert nur am Mittagstisch. Im Parlament sitzen die Parlamentarier, und die sind – ganz unschweizerisch – völlig resistent gegen Pfusch, hat man den Eindruck.

Also der Umwandlungssatz muss renoviert werden, weil er rostig ist. Die Fachleute sagen, 5% wäre richtig. Das Parlament sagt, 6% kommt billiger, wir renovieren dann in ein paar Jahren wieder. Die Fachleute sagen, wenn wir nicht auf Rentenalter 67 gehen, haben wir in Kürze ein Problem und das ganze System wird instabil. Die Parlamentarier sagen, das mag sein, aber darüber wollen wir jetzt nicht reden. Die Fachleute sagen, die Anlagevorschriften sind zu eng angelegt, wir brauchen mehr Flexibilität. Die Parlamentarier sagen, das prüfen wir dann bei anderer Gelegenheit. Die Fachleute sagen, die Leistungsgarantie knebelt das System. Die Parlamentarier sagen, na wenn schon. Wir behaupten einfach, das sei sozial. Kurz – das so renovierte Vorsorgehaus wird kein schöner Anblick. Voraussehbar halbbatzig. Haben wir im Parlament keine Schweizer?
Damit ist unsere Jeremiade aber noch nicht zu Ende. Jetzt kommt noch das politische Ränkespiel zweiter Ordnung. Und jetzt wird es hässlich. Bleiben wir doch bei unserer anschaulichen Metapher mit der Hausrenovation, aber ohne Bezug auf persönliche Verhältnisse (sic!). Die familiäre Ausmarchung würde etwa so aussehen: Das Dach wird nur auf der Rückseite repariert und auch das nur, wenn es auch ein schönes Bad gibt und ohne Ferien auf den Malediven keine Zustimmung zur notwendigen Erneuerung der Heizung.

Politisch nennt man das Package Deal. Es ist die teuerste Form von Politik und wird fälschlicherweise auch Kompromiss genannt. Bei der AV2020 war das der Deal Alter 65 gegen 70 AHV-Franken für Neurentner. Bei der Steuerreform lautet das Angebot Verzicht auf Referendum gegen «Papizeit» (s. NZZ). Das Ganze war schon im alten Rom gang und gäbe. Gewisse Dinge ändern sich nie!

Und jetzt bei der Neuauflage der Rentenreform soll der Preis nur schon für die Gleichberechtigung der Männer (Alter 65/65) maximal hochgetrieben werden; und selbst für die halbherzige UWS-Senkung wird ein Deal in noch unbekannter Grössenordnung gefordert. Da kommt Renovieren so teuer, dass man es sich kaum noch leisten kann. Die AV2020 war dafür ein schlagendes Beispiel.

Schweizers haben eine Schwäche für saubere Lösungen aber sie wissen auch, dass sie alles aus dem eigenen Sack berappen müssen. Sich selbst kann man keine Geschenke machen. Und vor allem ist ihnen klar: Die Wohltaten aus Bern kommen alle per Nachnahme. Sollte eigentlich alles auch im Bundeshaus bekannt sein.

Peter Wirth