imageSBG-Präsident Paul Rechsteiner erklärt die Niederlage bei der AV2020-Abstimmung in einem Interview der Unia-Zeitung “work”. Auszüge:

Nur gerade drei Prozent haben am 24. September gefehlt, und die Altersreform 2020 wäre durchgekommen. Haben Sie sich darüber geärgert?
Ärger hat vor allem die perfide Kampagne von FDP und SVP verursacht. Diese hat gezielt die Generationen gegeneinander aufgehetzt. Die Rentnerinnen und Rentner wurden mit dem Slogan «Rentner bestrafen» ausgerechnet von jenen Parteien ins Nein getrieben, die bessere Renten immer abgelehnt haben. Damit ist die Chance verpasst, die Altersvorsorge sozial zu reformieren und auf Jahre hinaus zu sichern. Es ist sehr unsicher, ob eine Chance für bessere Renten in nächster Zeit wieder kommt.

Sie nennen die Gegnerkampagne perfid. Und die Ja-Kampagne: War sie ungenügend?
Die Mittel der Gewerkschaften waren im Vergleich zu jenen von SVP und FDP, Economiesuisse und Arbeitgeberund Gewerbeverband beschränkt.

Ohne linkes Nein in der Westschweiz wäre die Altersreform durchgekommen, sagen Politologen. Hat Ihnen das eigene Lager einen Strich durch die Rechnung gemacht?
So viel steht fest: Die Wirtschaftsverbände und die Rechtsparteien hätten ohne das linke Nein gegen das Frauenrentenalter 65 und ohne die Massenversände des «K-Tipps» nicht gewonnen.

Die bürgerliche Ja-Kampagne kam eher kraftlos daher.
Die Mittel der CVP waren ebenfalls limitiert. Wichtig war aber etwas anderes. Die Städte haben der Vorlage zugestimmt, das Land war dagegen. Entscheidend war, dass der befürwortende Bauernverband der SVP-Propaganda auf dem Land nichts Wirksames entgegengesetzt hat. Dabei hätten gerade die Bauern wie keine andere Berufsgruppe vom Rentenzuschlag bei der AHV profitiert.

Die Frauen sollen die Reform besonders stark abgelehnt haben. Wie erklären Sie sich das?
Für manche Frauen ab 45, 50 Jahren war die Heraufsetzung des Rentenalters für das Nein entscheidend. Auch die Tatsache, dass Frauen Jahrzehnte nach dem Lohngleichheitsartikel noch immer weniger verdienen als die Männer, war ein Grund für ein Nein. Obschon zu bezweifeln ist, dass das Nein zur Rentenreform die Lohngleichheit weiterbringt. Die Lohngleichheit muss so oder anders realisiert werden. Im Nein kommt auch der Unmut gegen die sich dauernd verschlechternden Pensionskassenrenten zum Ausdruck.

Von links ist eine Neuauflage einer Volkspensions-Initiative zur Stärkung der AHV angekündigt, wie sie die PdA in den 1970er Jahren schon mal lanciert hat. Ist der Gewerkschaftsbund dafür?
Die Gewerkschaften werden ihre Position zu den Strategien in der Altersvorsorge an der kommenden Delegiertenversammlung vom 3. November diskutieren und festlegen.

Von rechts werden jetzt wohl Vorschläge zum Rentenabbau und zur Rentenaltererhöhung kommen. Wo machen Sie nicht mehr mit?
Wir werden uns gegen jeglichen Rentenabbau zur Wehr setzen. Eine starke AHV bleibt ein zentrales Ziel des gewerkschaftlichen Kampfs. Das ergibt sich schon allein aus den sinkenden Renten der Pensionskassen und den steigenden Krankenkassenprämien, die den AHV-Renten davonlaufen.

Die AHV braucht bald mehr Geld. Eine Zusatzfinanzierung ist nötig. Sie wollen dies über Lohnpromille tun, nicht über die Mehrwertsteuer. Das wird den Arbeitgebern nicht gefallen …
Die bescheidene Erhöhung der Lohnbeiträge um 0,3 Prozent war im Abstimmungskampf kaum ein Thema. Die Lohnbeiträge wurden seit 40 Jahren nie mehr angehoben, was die enorme Leistungsfähigkeit der AHV zeigt. Die Finanzierungsvorlage hat an der Urne besser abgeschnitten als die Rentenvorlage. Das heisst, dass eine Mehrheit für eine Zusatzfinanzierung in Reichweite wäre. Ob der politische Wille dazu vorhanden ist, steht auf einem anderen Blatt.

Welche Reform ist dringender: AHV oder Pensionskassen? Sie müssen ja damit rechnen, dass jetzt jede Säule separat reformiert wird.
Die AHV braucht eine Zusatzfinanzierung. Bei den Pensionskassen geht die Misere wegen der tiefen Zinsen an den Kapitalmärkten weiter. Dies bewirkt, dass das angesparte Alterskapital heute viel geringer ausfällt als früher. Bei vier Prozent Zins hatte es sich im Laufe eines Erwerbslebens noch verdoppelt. Die Konsequenz ist, dass es in der zweiten Säule mit den sinkenden Umwandlungssätzen künftig schlechtere Renten gibt. Dieses Problem bleibt ungelöst. Hinzu kommt, dass jetzt Gschäftlimacher auf den Plan treten, von Comparis über das Vermögenszentrum (VZ) bis zu den Banken. Diese wollen den Kunden teure Finanzprodukte der dritten Säule unterjubeln. All dies spricht dafür, dass wir die AHV stärken.

Bleibt für die Gewerkschaften jetzt nur noch der Abwehrkampf?
In der Abstimmungskampagne haben mir viele Leute geschildert, dass sie finanziell sehr eng dran seien. Sie laufen auf dem Zahnfleisch. Die Rente steigt nicht, dafür die Prämien, die Mieten und weitere Kosten. Der Kampf für bessere Renten muss trotz dem Rückschlag weitergeführt werden. Der «KTipp » hat darüber hinaus die Versicherer als Profiteure im Rentengeschäft kritisiert. Wir warten darauf, dass er auch konkret etwas dagegen tut.

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