Bundesrat Alain Berset am 7. August im Tages-Anzeiger: «Ich sage dieser Generation (den unter 45-Jährigen) ganz klar: Diese Vorlage ist ein Fortschritt für euch. Wenn ihr Nein stimmt, könnt ihr nicht sicher sein, dass ihr noch eine AHV-Rente bekommt.»

Das ist Panikmache der Extraklasse.

Und jetzt? Angst, Wut, Trauer? Nein, nichts dergleichen. Wir empfehlen vielmehr entspanntes Zurücklehnen. Warum? Die Erklärung braucht ein paar Zeilen.

Erstens ist der Satz dem Magistraten nicht spontan von den Lippen gekommen, oder – wie Homer es ausgedrückt hätte – dem Gehege seiner Zähne entfleucht. Das wurde vom Beraterstab vorgängig sorgfältig geprüft, in diversen Versionen getestet, verworfen, neu formuliert und schliesslich in der endgültigen Fassung mit den BSV-Oberen abgesprochen. Hart, vielleicht an der Grenze, mag man es eingestuft haben. Aber vertretbar. Gezielt als Provokation, oder vielleicht auch nur als Provokatiönchen, zu Beginn der heissen Phase in Szene gesetzt.

Zweitens weiss Berset so gut wie jedermann mit einem Mindestmass an politischem Sachverstand, dass die Aussage Mumpitz ist. Das ist Argumentation auf dem Niveau einer Tamedia-Strassenumfrage. Wenn also auf Empörung unsererseits gehofft wurde, dann müssen wir die Hoffnung enttäuschen.

Zudem haben wir unter dem Druck gewerkschaftlicher Vorwürfe in den letzten Jahren mit der Panik umzugehen gelernt, zumindest was die AHV betrifft. Halten wir uns deshalb doch an eine in der Unia-Zeitung bereits 2003 A.D. publizierte Weisheit: «Die AHV hat im Lauf ihrer Geschichte aber gezeigt, dass sie kurzfristig und wirksam reformierbar ist, wenn sich Änderungen aufdrängen. Jetzt Panik zu machen ist deshalb fahrlässig.» Genau.

Höchst bemerkenswert auch, was Daniel Lampart, Chefökonom des SGB, 2011 in einer Studie unter dem Titel «Die AHV bleibt stabil» verlauten liess: «Der AHV geht es viel besser, als der Bundesrat in seinen düsteren Prognosen jeweils voraussagte. Die neuen SGB-Szenarien zeigen: Die AHV dürfte in den kommenden 15 Jahren ohne Beitragserhöhungen auskommen.» Gut, damals war ein Freisinniger Chef im EDI, aber Zahlen sind Zahlen und die zwischenzeitliche Verschlechterung ist nicht seinem Nachfolger anzukreiden, das verbietet schon die Fairness. Bloss mit den 15 Jahren war der Chefökonom vielleicht etwas zu optimistisch.

Und Paul Rechsteiner im Tages-Anzeiger im selben Jahr: «Die pessimistischen Prognosen des Bundes haben bloss dazu gedient, die Abbaupolitik bei den Sozialwerken mit Argumenten zu stützen.» Ob das noch immer gilt? Oder soll es unter der Rubrik «Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern» abgelegt werden?

Blicken wir etwas genauer auf das vielzitierte Berset-Zitat, zeigt sich Interessanteres als die aufgeregte Warnung resp. Drohung an die U45. Deutlich wird, wo die konzeptionelle Schwachstelle beim Verkauf des Projekts liegt. Nicht bei den Alten, offenbar. Tatsächlich haben die Rentnerverbände bereits ihr Placet zur AV2020 gegeben, und bis sie bemerken, dass die 70 Franken-Spritzkanne an ihnen vorbeigeht, hängt an der Zürcher Bahnhofstrasse so oder so längst die Adventsbeleuchtung.

Die unsicheren Kantonisten sind die direkt angesprochenen Jungen. Sie haben schon Rechsteiners Prestige-Projekt mit der AHVplus versenkt. Kein Bock auf AHV-Ausbau bei dieser hart unter Druck stehenden Altersklasse. Das dürfte sich in den vergangenen zwei Jahren nicht geändert haben.

Sie tragen die Hauptlast der asymmetrisch angelegten Übungsanlage. Und werden ohne Zweifel mit einem Rentenalter 67 (mindestens) konfrontiert und müssen erleben, wie sich heute eine Generation – die Ü45 – Privilegien zuschanzen will, für die sie nur zum Teil auch die Finanzierung übernimmt. Und dafür die AHV in eine Finanzierungssituation steuert, welche in wenigen Jahren strukturell schlechter wäre als ohne Reform.

Ob sie unter der magistralen Drohgebärde einknicken? Von den Jungparteien unterstützt im wesentlichen nur jene der CVP die Vorlage, die anderen, incl. Jungsozialisten, lehnen sie ab.

Als Fazit drängt sich auf: weil Berset den Jungen nichts bieten kann, muss er ihnen drohen. Und das ist pauvre.

Peter Wirth, E-Mail

Newsletter Nr. 342, 14.8.17