Finanziert die erwerbstätige Bevölkerung die Senioren? Was tragen die Jungen und was die rüstigen Rentner zum Funktionieren unserer Gesellschaft bei? Die Beobachter-Infografik zeigt, wie die Generationen zusammenspielen.
Juli 21, 2017
«Ein Tabu muss man brechen»
Nach der Reform ist vor der Reform – unabhängig davon, wie die Volksabstimmung über die Altersvorsorge im September ausgeht, schreibt Avenir Suisse. Im Artikel heisst es:
Die Schweizer Gesellschaft ist mit ihrer Haltung zum Thema Altersvorsorge zutiefst widersprüchlich: Obwohl die Lebenserwartung eine der höchsten weltweit ist und laufend steigt, bleibt ein höheres Rentenalter ein Tabu.
Quasi das politische Kind dieses Zustands ist die Abstimmungsvorlage «Altersvorsorge 2020». Diese enthält ein ganzes Sammelsurium von Massnahmen, die jedoch in ihrer Summe nur an der Oberfläche kratzen und mit denen es unterm Strich nicht gelungen ist, die Renten langfristig zu sichern. Im Gegenteil werden mit dem geplanten AHV-Ausbau die jüngeren Generationen überproportional belastet. Nicht zuletzt deshalb ist es für die Jungen enorm wichtig, dass sie sich persönlich für das Thema Altersvorsorge interessieren, auch wenn die eigene Rente noch in der Ferne liegt.
Im Gespräch mit Nicole Dreyfus erklären Jérome Cosandey, Forschungsleiter Finanzierbare Sozialpolitik bei Avenir Suisse, und die Vertreter von Avenir Jeunesse, Salomè Vogt und Fabio Wüst, wie die Finanzierbarkeit der Renten auf Dauer gewährleistet werden könnte. Eine der wichtigsten Massnahmen ist aus ihrer Sicht die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung. Im Interesse der Arbeitnehmer wäre auch ein sanfter Übergang in die Pensionierung durch die allmähliche Reduktion des Pensums.
“Keine Zustimmung aus christlich-ethischer Sicht”
Peter Ruch, 35 Jahre reformierter Pfarrer, äussert sich in der Weltwoche über die AV2020:
Meine Generation in der westlichen Welt ist plus / minus in die besten ökonomischen Verhältnisse der Weltgeschichte hineingeraten. Und ausgerechnet wir sollen nun von den Kindern etwas bekommen. So will es die «Rentenreform ». Sie ist derart halbbatzig durchdacht, dass bereits in rund zehn Jahren die Schieflage zurückkehrt. Die 70 Franken zusätzliche AHV sind so verfehlt wie der weiterhin überhöhte Umwandlungssatz bei der zweiten Säule. Und die 70 Franken gehen an diejenigen, die ohnehin während zwanzig Jahren aus dem Sicherheitsfonds für den minderen Umwandlungssatz entschädigt werden.
Aus christlich-ethischer Sicht verdient die Vorlage keine Zustimmung. Wird sie abgelehnt, so ist die Bahn frei für eine Rentenreform, die diesen Namen verdient. Rentenbeschlüsse müssen im Horizont von zwei bis drei Generationen erfolgen. Wird die Vorlage angenommen, so erweist sich die staatliche Altersversorgung definitiv als reformuntauglich. Das würde zugleich für den gesamten Sozialstaat gelten, denn entsprechende Symptome zeigen auch andere Bereiche, etwa die medizinische Versorgung.
In diesem Fall ist es die Pflicht von Politik und Gesellschaft, den Sozialstaat vollständig zurückzubauen. Dafür existieren Modelle. Die Menschheit hat viel häufiger und länger ohne Sozialstaat gelebt als mit ihm. Solidarität, Stiftungen und geringerer Verbrauch können ihn ersetzen.
TA: “Die Schwächen der Rentenreform-Gegner”
Die FDP ist mit der Bundesratswahl beschäftigt. Und die SVP hat kein Interesse, ihre Wählerschaft mit Forderungen zur AHV-Sanierung zu vergraulen.
Zum Hinschied von Hansjürg Saager
Hansjürg Saager ist im Alter von 77 Jahren gestorben, wie seine Familie mitteilt.
Saager ist in der beruflichen Vorsorge als Herausgeber der AWP-Nachrichten bekannt, die seit den 70er Jahren vierzehntäglich über Aktualitäten in der 2. Säule informiert. Also lange bevor das Thema von den Tageszeitungen vertieft aufgegriffen und viele Jahre bevor das BVG in Kraft gesetzt wurde, hat er die soziale und auch wirtschaftliche Bedeutung der Altersvorsorge erkannt. Dabei galt sein hauptsächliches journalistisches Interesse den Rohstoffen, über welche er bis vor wenigen Monaten noch regelmässig berichtete. Und Leidenschaft entwickelte er vor allem für sein Weingut Eikendal in Südafrika.
Mit den AWP-Nachrichten verbunden sind die seit Beginn jährlich durchgeführten Tagungen zur 2. Säule. Auch damit war Saager seiner Zeit voraus. Das gilt gleichermassen für den Einsatz modernster Technologien. Die Installation eines Zentralcomputers bei der AWP mit Netzanschluss zu Beginn der 80er Jahre war für alle Beteiligten damals ein Abenteuer und verlangte den wochenlangen Einsatz eines Spezialisten aus Deutschland. Die Redaktion wurde desgleichen mit den ersten IBM Word-Prozessoren und später mit IBM XT-Computer ausgerüstet. Damit war man im Journalismus den Kollegen weit voraus.
Im persönlichen Umgang war Saager eher spröde, Anzeichen von Humor nahm man als Mitarbeiter (der Autor war während 7 Jahren Redaktor der Nachrichten) mit Erleichterung zur Kenntnis. Wenigstens kurz konnte so die Distanz verringert werden, die man auch als soziales Gefälle wahrgenommen hat. Als Sohn einer vermögenden Bankiersfamilie war das Thema soziale Sicherheit ihm wohl auch nicht in die Wiege gelegt worden.
Die drei Redaktoren der AWP-Nachrichten unter seiner Leitung, Beat Brenner, der Schreibende und Werner C. Hug, haben gleichzeitig auch grosse redaktionelle Freiheiten erfahren dürfen. Die Fakten mussten stimmen, die Meinung war offen. Davon haben alle profitiert, auch die Leser.
Peter Wirth
BaZ: Heikle Vorhersagen
Auch die Basler Zeitung beschäftigt sich mit dem Zahlenmaterial zur AV2020, deren Voraussetzungen Fragen aufwerfen. Dominik Feusi schreibt:
Gemäss Berechnungen des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) verschafft die Reform allerdings nur gerade fünf Jahre Atempause. Auch bei einem Ja ist die AHV ab 2027 mit Milliardendefiziten wieder in einer Schieflage – bei einem Nein bereits 2022. Auch für die berufliche Vorsorge, die zweite Säule des Schweizer Rentensystems, bringt die Reform mit der Senkung des Umwandlungssatzes nur eine leichte Anpassung an die gesteigerte Lebenserwartung.
Die Berechnungen des BSV beruhen auf Voraussagen hinsichtlich der Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft. Wächst die arbeitende Bevölkerung oder deren Löhne, bedeutet das zusätzliche Einnahmen für die AHV. Nimmt die Bevölkerung ab oder stagnieren die Löhne, bedeutet das rascher neue Defizite in der ersten Säule. Das Bundesamt hält sich dabei streng an das Hauptszenario des Bundesamts für Statistik (BfS) und die Annahmen über die Preis- und Lohnentwicklung der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV). (…)
Rechnet man die erste Hälfte dieses Jahres auf das ganze Jahr hoch, beträgt die Netto-Zuwanderung 51’000 Personen, fast 10’000 Personen weniger, als das Referenzszenario des BfS schätzt und das BSV der Altersreform zugrunde legt. Nimmt man nur den Monat Juni, so sieht es noch schlimmer aus, dann würden rund 20 000 Zuwanderer pro Jahr fehlen, die in die AHV einzahlen.
Bleibt die Zuwanderung aus dem entscheidenden EU- und Efta-Raum so tief wie im ersten Halbjahr 2017, dann kommen im 2017 nur 30’000 Personen aus diesen Ländern in den Schweizer Arbeitsmarkt und als zusätzliche Zahler in die AHV. Das wären wiederum 20’000 Personen weniger, als der Berechnung des BSV für die Altersreform zugrunde liegen. Was das für die AHV bedeutet, wenn diese Personen fehlen, lässt sich nur schwer voraussagen. Die von den Befürwortern behauptete «langfristige Sicherung der AHV» würde aber noch kürzer ausfallen als die berechneten fünf Jahre.