Bundesrat Alain Berset macht sich in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger Luft über seinen Ärger mit den Entscheiden der Sozialkommission des Nationalrats zur Altersvorsorge 2020. Auszüge:

Die Reform, wie Sie sie planten, ist nun gefährdet. Die nationalrätliche Sozialkommission will deutlich mehr sparen. Und wenn die AHV in Not gerät, soll das Rentenalter automatisch auf 67 Jahre steigen.
Wir arbeiten nun fünf Jahre an dieser ­Reform. Mit Blick auf diesen Zeitraum würde ich sagen, dass wir auf Kurs sind. Betrachtet man aber nur die letzten ­Wochen, sind wir tatsächlich in einer ­gefährlichen Situation.

Gefährlich? Wie meinen Sie das?
Der Bundesrat hat für seinen Vorschlag unzählige Gespräche geführt und einen fein austarierten Kompromiss erarbeitet. Der Ständerat hat 80 Prozent übernommen und nur zwei wesentliche Dinge geändert: Die Mehrwertsteuer soll um 1 statt 1,5 Prozentpunkte steigen, und die AHV-Renten würden um 70 Franken erhöht, um die Ausfälle bei der zweiten Säule zu kompensieren. Die grossen ­Linien des Bundesrates bleiben damit eingehalten. Was jetzt aber die Sozialkommission des Nationalrats vorschlägt, ist AHV minus. Sie will das Niveau der Renten der Altersvorsorge senken, und das ist nicht mehrheitsfähig.

Was führt Sie zu dieser Annahme?
Man hat 2004, 2008 und 2010 versucht, die Leistungen in der Altersvorsorge zu kürzen. Jedes Mal ist man grandios gescheitert. Alle sollten sich ihrer Verantwortung für das Gelingen einer Reform bewusst sein. Ich weiss, dass Taktik und Spielchen zur Politik gehören. Aber in der jetzigen Situation die Reform der Vorsorgewerke zu gefährden, ist unverantwortlich.

Welche Beschlüsse der Nationalräte finden Sie speziell problematisch?
Der Interventionsmechanismus, der automatisch zum Rentenalter 67 führt, ist schon ein heikler Punkt. Ich spüre aus meinen Kontakten mit der Bevölkerung, dass so etwas keine Chance hat. Das bestätigen übrigens auch die Umfragen und Studien. Problematisch ist zudem, dass die Kommission nur 0,6 zusätzliche Mehrwertsteuerprozente für die AHV erlauben will. Und dass sie die Rentensenkung in der zweiten Säule nicht genügend kompensiert. Gemäss den Kommissionsbeschlüssen würde ­jemand, der beim Inkrafttreten der Reform jünger ist als 50 Jahre, mit jährlichem Renteneinkommen von 48’000 Franken bis zu 2500 Franken verlieren.

  Tages-Anzeiger