Charlotte Jacquemart hat für die NZZ am Sonntag Werner Hug zu seiner Sicht der Dinge in der 2. Säule befragt. Hug ist pessimistisch und über die Entwicklung enttäuscht. Auszüge aus dem Interview.

imageSie sagen, weniger als 5% Umwandlungssatz seien ein Skandal Rechtfertigen die negativen Zinsen aber nicht solche Massnahmen?
Nein. Wer mit so tiefen Umwandlungssätzen rechnet, kalkuliert wie ein Lebensversicherer. Pensionskassen sind aber keine Lebensversicherer. Sie gehören Arbeitgebern und Arbeitnehmern, haben keine Aktionäre, die mitverdienen müssen. Pensionskassen sind von Gesetzes wegen freier reguliert als Lebensversicherer. Pensionskassen dürfen über 7 bis 10 Jahre eine Unterdeckung haben. Lebensversicherer dürfen dies nicht.

Mit anderen Worten: Pensionskassen können grosszügiger sein als Lebensversicherer?
Genau. Ich beklage, dass man heute eine Pensionskasse führt wie eine Lebensversicherung. Geschäftsführer und Stiftungsräte wollen sich zu über 100% absichern. Das entspricht nicht der Philosophie der zweiten Säule. Wenn die paritätisch geführten Kassen wie Lebensversicherer geführt werden, brauchen wir sie nicht mehr. Dann können wir sie den Lebens Versicherern übertragen.

Arbeitgeber sind mitschuldig an der Entwicklung. Sie verabschieden sich zunehmend aus der zweiten Säule, indem sie immer mehr Risiko auf die Versicherten überwälzen. Sie führen zum Beispiel sogenannte 1e-Pläne ein. Darin wählen Versicherte eine eigene Anlagestrategie, tragen aber das Anlagerisiko selber. Was halten Sie davon?
Nichts. Diese Pläne sind nichts anderes als Steueroptimierungsinstrumente für Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit Löhnen über 126’900 Fr. Die Arbeitgeber entledigen sich damit der Verpflichtungen in ihrer Bilanz. Renten gibt es aber keine aus diesen le-Plänen. Es gibt nur noch Kapitalbezug. Was Arbeitnehmer wissen müssen: In le- Plänen tragen sie das Anlagerisiko allein. Ist die Börse bei Pensionsantritt im Keller, gibt es entsprechend weniger Kapital ausbezahlt.

Man kann den Firmen nicht die Schuld geben, dass sie auf solche 1e-Pläne umsteigen. Die Rechnungslegung ist Treiber dieser Entwicklung. Weil Pensionsverpflichtungen seit kurzem anders verbucht werden müssen und Firmenbilanzen viel stärker belasten, wollen Unternehmen die Verpflichtungen loswerden.
Das ist so. Die Verpflichtungen und Risiken werden auf die Versicherten überwälzt. Die Nachfrage nach 1e-Plänen ist deshalb bei hohen Einkommen gross. Anbieter stehen bereit. Aber selbst wenn man die Entwicklung erklären kann: Die zweite Säule wird damit ausgehöhlt, denn die Solidarität von hohen und tiefen Löhnen wird untergraben.

Bei Einführung des Obligatoriums der zweiten Säule im Jahr 1985 hat man nicht mit negativen Zinsen gerechnet. Funktioniert unser System noch?
Für die zweite Säule ist das, was wir heute am Kapitalmarkt erleben, eine Katastrophe. Es ist absurd. Ich bin Ökonom: Können Sie mir eine Theorie nennen, die erklären kann, wie es mit dieser Geldschwemme weiter- gehen soll? Entweder gibt es einen grossen Chlapf oder aber grosse Inflation.

Malen Sie nicht etwas zu schwarz?
Nein. Die zweite Säule wird heute von innen ausgehöhlt, die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und -nehmem funktioniert nicht mehr, jeder denkt nur noch an sich. In der ursprünglichen beruflichen Vor- sorge hatten Individualismus und Hedonismus keinen Platz. Meine Generation hat sehr viel über die AHV an die Kriegsgeneration gezahlt. Viel mehr als die jetzige junge Generation an die heutigen Rentner.