imageBundesrat Berset äusserte sich in einem Interview mit der Neuen Luzerner Zeitung zur Altersvorsorge 2020 und insbesondere zur Forderung der Wirtschaftsverbände, schon heute die Erhöhung des Rentenalters auf über 65 Jahre mit einer Stabilisierungsregel in die Diskussion aufzunehmen. Auszüge:

Die Sozialkommission des Nationalrats hat sich unlängst für die Schuldenbremse des Arbeitgeberverbands ausgesprochen, die das Rentenalter schrittweise auf 67 Jahre erhöhen will. Was halten Sie davon?
Berset: Ich kann mich nicht zu den Beratungen und Beschlüssen der Kommission äussern, da sie vertraulich sind.

Anders gefragt: Was halten Sie von der Schuldenbremse für die AHV, welche die Arbeitgeber Anfang Jahr präsentierten?
Berset: Der Bundesrat hat eine ausgewogene Vorlage präsentiert und auch solche Mechanismen studiert. Er wollte ebenfalls eine Regel, die die Schuldenwirtschaft verhindern soll. Diese nimmt aber Rücksicht auf das Primat der Politik und enthält in einer zweiten Phase einen vorübergehenden finanziellen Automatismus, der keine Auswirkungen auf das Rentenalter hat. Es braucht einen Kompromiss, Maximalforderungen haben vor dem Volk keine Chance. Eine Verknüpfung der finanziellen Lage der AHV und der automatischen Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre wäre für die Vorlage das Todesurteil. Das muss man klipp und klar sagen.

Warum?
Berset: Wir müssten in einer Volksabstimmung die Erhöhung des Rentenalters für Frauen um drei Jahre und für Männer um zwei Jahre erklären. Das geht zu weit, der Arbeitsmarkt ist dafür gar nicht bereit. Es wäre falsch, sich nur auf die Erhöhung des Rentenalters zu fokussieren. Der Bundesrat will eine Flexibilisierung, um das reale Rentenalter mit Anreizen zu erhöhen. Dort besteht Handlungsbedarf. Bei den Frauen liegt das Rentenalter faktisch nicht bei 64 Jahren, sondern im Schnitt bei 62,3 Jahren. Bei den Männern sind es im Schnitt 64,1 Jahre und nicht 65 Jahre.

Der Arbeitsmarkt ist wegen des Fachkräftemangels doch früher oder später teilweise für eine Erhöhung des Rentenalters bereit.
Berset: Ich sage nicht, dass wir überall Mühe hätten. Gewiss gibt es Branchen, wo es mit Anreizen machbar wäre, etwa mit einer Teilpensionierung. Deshalb braucht es eine Flexibilisierung von 62 bis 70 Jahren bei einem Referenzrentenalter von 65 Jahren. Ich bin überzeugt, dass etliche Arbeitnehmer mit unseren Vorschlägen später in Pension gehen werden, sofern sie ein bedürfnisgerechtes Angebot erhalten. Heute hat man oft den Eindruck, dass Arbeitgeber nicht besonders daran interessiert sind, ältere Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. In gewissen Branchen haben die Leute ab 55 Jahren fast keine Chance mehr, eine Stelle zu finden. Man darf dies nicht nur theoretisch betrachten.

Die Lebenserwartung steigt. Eine Verknüpfung mit dem Rentenalter oder dessen Erhöhung auf 67 Jahre würde mittelfristig auf der Hand liegen.
Berset: Uni-Professoren und andere Akademiker haben nicht die gleiche Lebenserwartung wie etwa Bauarbeiter. Wäre eine Verknüpfung gerecht?

Das müssen vorerst Politiker beurteilen.
Berset: Es wäre nicht unbedingt gerecht. In der heutigen Gesellschaft wäre es falsch, sich nur auf ein Alter im Gesetz zu stützen. Wir müssen dafür sorgen, dass das reale Rentenalter steigt. Nötig sind flexible Lösungen je nach Branche.

Umstritten ist im Nationalrat auch die Erhöhung aller AHV-Neurenten um 840 Franken. Wie stehen Sie dazu?
Berset: Der Umwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge soll innerhalb von vier Jahren von 6,8 auf 6 Prozent sinken. Die letzte Senkung war nur halb so stark und erstreckte sich über einen längeren Zeitraum. Trotzdem hatte sie vor dem Volk keine Chance. Damit die aktuelle Reform nicht scheitert, muss das Rentenniveau in der ersten Säule und im obligatorischen Teil der zweiten Säule mit Kompensationen erhalten bleiben. Der Ständerat anerkennt zwar das Ziel, aber ihm ging die Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Lohnbeiträge für die zweite Säule zu weit. Er halbierte die Kompensation in der zweiten Säule und baute dafür eine Teilkompensation mit tieferen Lohnbeiträgen in der ersten Säule ein. So kam es zur Erhöhung der AHV-Renten um monatlich 70 Franken. Bundes- und Ständerat verfolgen dasselbe Ziel, aber auf anderen Wegen.