315  4. Juli 2016       
      
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KOMMENTAR


FUD

Für Digerati bildet das Akronym FUD kein Geheimnis. Es steht für fear, uncertainty und doubt, wobei das D auch death und destruction bedeuten kann. In den letzten Wochen stand die Welt mehrheitlich unter dem Zeichen von FUD. Auslöser war der unerwartete Brexit, der offenbar die Vorstufe zur Apokalypse bildet; anders lassen sich die unheilverkündenden Kommentare in den Medien nicht verstehen. Entsetzen bei 48 Prozent der Briten und anscheinend 100 Prozent der Schweizer und Deutschen. Nachdem die NZZ schon im Vorfeld der Abstimmung jeden Tag mehrere Artikel zum Thema publiziert hatte – alle unisono mit der ernstesten Warnung vor einem Ja zu einem Austritt (als ob es von den Schweizern abhängen würde), geht es nun nach der Entscheidung im gleichen Tenor weiter. FUD gleich in Wagenladungen.

Die EU-Bosse geben sich erbost. Das Austrittsgesuch sei subito einzureichen, liessen sie verlauten. Bloss liegt das ausserhalb ihrer Einflusssphäre, aber diese überschätzen sie konstant. Deutsche Politiker formulieren auf allen Kanälen ihre sehr ernsten Bedenken gegen Referenden, die offenbar mit Demokratie nicht zu vereinbaren sind (unsere Nachbarn sind neuerdings die grossen Demokratie-Experten). Etwas befremdlich dennoch der Vorwurf an Cameron, er habe das Referendum nicht nur unnötigerweise, sondern geradezu mutwillig (NZZ) ausgelöst. Da hat einer ohne Zwang das Volk befragt. Wie kann man bloss so dumm sein, ist wohl der Gedanke dahinter. In der Tat, das tumbe Volk denkt hin und wieder anders als seine Regierungen. Da sollte man an eine Volksbefragung wohl besser gar nicht denken. Das auch Schweizer Medien im Kern so argumentieren, überrascht - oder vielleicht auch nicht.

Die als gemässigt geltende Frau Merkel formulierte vor dem Bundestag gleich mehrmals, dass es nun nicht zum Rosinenpicken (natürlich durch die Briten) kommen dürfe. Den Begriff ist uns aus EU-Verhandlungen ebenfalls bestens bekannt. Neu ist bloss der erweiterte Begriff des «Rosinenpicken-Systems», den Merkel einführte. Dieses ist wohl Deutschland und der EU vorbehalten, etwa bei der Verkehrsregelung für Lastwagen quer und durch die Schweiz oder bei den erzwungenen Anflugsbestimmungen für den Flughafen Zürich. Es soll nur niemand auf die Idee kommen, es ihnen gleichzutun.

Die Schuldigen am Brexit-Unheil sind bekannt. Es sind Ukip, AfD, Le Pen und Konsorten. Diese werden von den Medien dadurch kenntlich gemacht, indem offenbar aufgrund einer internationalen Vereinbarung zwingend und ausnahmslos vor jeder Erwähnung ihrer Namen stets das Attribut «rechtspopulistisch» zu stehen hat. Ungefähr so, wie auf allen Zigaretten-Packungen unübersehbar vor dem raschen und qualvollen Tod gewarnt wird, der mit dem Rauchen verbunden ist. Medien wie Beamte trauen ihrer Kundschaft offenbar weder Lernbereitschaft noch eigenes Denk- und Urteilsvermögen zu. Auch das nichts Neues, bloss für sensible Gemüter wie jenem des Schreibenden irgendwie störend.

In der EU will man den Austritt Grossbritanniens so schmerzhaft wie möglich gestalten. Das lassen die Warnungen jedenfalls erwarten. Das «wir brauchen mehr Europa» hat schlagartig einen neuen Beigeschmack bekommen. Europa ist die EU und umgekehrt. Auch das haben wir Eidgenossen schon zu spüren bekommen. Andern austrittswilligen Ländern soll es eine Warnung sein. Aber das ist politisches Getöse. Letztlich zählen wirtschaftliche Interessen. Die Briten sind nicht bloss Exporteure, denen man den Marktzutritt erschweren kann, sie sind vor allem auch Importeure und wie die Schweiz mit einem beträchtlichen Aussenhandelsdefizit gegenüber den EU-Ländern. Die deutsche Autoindustrie beispielsweise verkauft nicht nur 10% ihrer Produktion in Grossbritannien, sie ist mit VW, BMW und Mercedes etc. auch massiv in England investiert. Sie haben keinerlei Interesse an politischen Strafaktionen mit wirtschaftlichen Folgen.

Ob andererseits Hollandes Hoffnung, von einer Krise in der Londoner City durch Abwanderung nach Paris profitieren zu können, in Erfüllung geht, darf ebenfalls bezweifelt werden. Davor steht nicht zuletzt der französische Code du Travail mit seinen 12'000 Artikeln, der von ausländischen Investoren noch nie als Einladung missverstanden wurde.

Die EU hat sich mit ihrer Expansion und dem Euro vergaloppiert und in eine Sackgasse manövriert. Als Therapie kennt man bloss die Erhöhung der Dosis. Die demokratische Legitimation fehlt. Die alte Weisheit, man solle keine Krise ungenützt vorbeigehen lassen, wurde eisern missachtet. Das dürfte auch dieses Mal der Fall sein. Dass der Entscheid der Briten – so er denn auch wirklich umgesetzt wird – eine Besinnung auslöst, ist nicht zu erwarten. Dazu fehlt dem Personal in Brüssel wie auch bei den Mitgliedstaaten die politische Weitsicht.

Zu erwarten ist: die Börsen beruhigen sich, die Menschen auch und bevor die Suppe gegessen wird, ist sie schon merklich abgekühlt. Die wirtschaftlichen Prognosen haben sich noch stets als so wenig zuverlässig erwiesen wie jene zu Abstimmungen. Und sollten wir Anzeichen von FUD erkennen, verdoppeln wir unsere Skepsis.

Geniessen wir also entspannt den Sommer, hoffentlich mit viel Sonne.

Peter Wirth / E-Mail
 


 

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