Der Tages-Anzeiger hat Prof. Silja Häusermann, Politologin an der Uni Zürich, zum Stand der Beratungen zur Altersvorsorge 2020 befragt. Auszüge:

Wenn der jetzige Vorschlag des Ständerats vors Volk käme, würde er angenommen?
Silja Häusermann: Dieser Vorschlag hätte vermutlich gute Chancen bei einer Volksabstimmung. Wir haben die Teilnehmenden in einer repräsentativen Umfrage im Sommer 2016 zu ihrer Haltung zu Reformpaketen befragt. 56 Prozent der Befragten hätten einer Reform, die dem Vorschlag des Ständerats sehr ähnlich ist, sicher oder eher zugestimmt. Sicher oder eher abgelehnt hätten sie nur 27 Prozent.

Nur: Im Nationalrat stösst das Paket auf erbitterten Widerstand. Wie verfahren ist die Situation?
Links und rechts haben sich schon sehr weit aufeinander zubewegt. Die Linke hat akzeptiert, dass das Rentenalter der Frauen auf 65 erhöht und der Umwandlungssatz gesenkt wird. Die Rechte verzichtet auf die Erhöhung des Rentenalters auf 67 und akzeptiert im Grundsatz, dass die Senkung des Umwandlungssatzes kompensiert wird. Jetzt wird noch über die Ausgestaltung der Kompensationsmassnahmen gestritten, dafür umso heftiger. Wenn das Parlament die Reform auf dem letzten Meter scheitern liesse, dann wäre das in der Tat ein schlechtes Zeichen für das Funktionieren unserer Institutionen.

Die FDP bezeichnet jede Rentenerhöhung als rote Linie. Wäre es taktisch nicht klug gewesen, wenn der Ständerat beim Ausgleich von 70 Franken Konzessionen gemacht hätte?
Die Haltung des Ständerats ist durchaus rational. Der Nationalrat hat sich selbst in eine äusserst schwierige Lage manövriert. Er verabschiedete eine Vorlage, die so offensichtlich nicht mehrheitsfähig war, dass der Ständerat darauf keine Rücksicht nehmen musste. Die Verhandlungsposition der bürgerlichen Mehrheit im Nationalrat ist aus mehreren Gründen relativ schwach. Die Linke kann mit dem Status quo gut leben und deshalb wirksam mit einem Referendum drohen. Gleichzeitig drängt die Zeit, und die Versicherungsindustrie macht Druck, den Umwandlungssatz zu senken. Wenn man in dieser Situation rote Linien setzt, statt den Kompromiss zu suchen, dann wird das Scheitern der ganzen Reform zum realistischen Szenario.

Welche Bedeutung hat der Rentenausgleich von 70 Franken für eine Volksabstimmung?
Für die Bevölkerung war diese Massnahme ursprünglich keine zwingende Bedingung für die Zustimmung zu einem Reformpaket. Der Bundesrat verzichtete in seiner Vorlage darauf. Unsere ersten Umfragen von 2015 zeigten, dass das Paket trotzdem gute Chancen gehabt hätte. Der Verlauf des Prozesses ändert aber die Ausgangslage: Damals existierte der Vorschlag des Ständerats nicht, die AHV-Renten zu erhöhen. Wenn man diesen Vorschlag nun ganz zum Schluss aus der Reform kippt, dann besteht die Gefahr, dass das bei der Bevölkerung als Kürzung wahrgenommen wird. (…)

Wie zuversichtlich sind Sie, dass das Parlament die Reform zu einem guten Ende bringen wird?
Weniger zuversichtlich als auch schon. Die Chancen stehen und fallen einzig mit der Frage, wie sehr die Rechte diese Reform will. Die Versicherungsindustrie, die Economiesuisse und die moderaten Bürgerlichen haben immer wieder signalisiert, dass sie bereit sind, für die Senkung des Umwandlungssatzes weitreichende Kompromisse einzugehen. Allerdings gibt es eben auch eine ideologische Rechte, die weniger pragmatische Signale ausgesendet hat.

pw. Eine abgehobene Analyse, dafür mit erheblicher Schlagseite. Das wird im letzten Satz überdeutlich. Da ist von den moderaten Bürgerlichen und den ideologischen Rechten die Rede, die ideologischen Linken finden nicht statt, wie denn überhaupt im Weltbild der akademischen Realitätsdeuter die Rechte schon immer schlecht weggekommen ist. Und während Frau Häusermann dem SR-Konzept einiges abgewinnen kann, stösst der NR-Vorschlag bei ihr offenkundig auf Ablehnung. Begründet wird das nicht, nur schlicht festgestellt, dass die Ideen des Nationalrats “offensichtlich” nicht mehrheitsfähig seien. Mehrheitsfähig bei wem? Im Parlament, beim Volk? Und wieso überhaupt? Verwiesen wird auf eine Umfrage. Da würden wir doch gerne wissen, wie viel die Befragten vom Thema überhaupt kapiert hatten. Falls sie ähnlich fundiert durchgeführt wurde wie jene auf der Website des Tages-Anzeigers, darf man ihre Resultate gleich vergessen. Denn diese ist ein Musterbeispiel für die alte Weisheit: Garbage in, garbage out.

  TA